Moderne Totentänze in Chur : Immer tändelt der Tod
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Freund Hein lädt ein: Das Bündner Kunstmuseum findet einen überraschenden Dreh zum Totentanz in der Moderne – von Nijinsky bis Warhol.
Das hätte man im Graubündner Kunstmuseum in Chur zuletzt erwartet: In dem streng modernen Kubus der Architekten Barozzi Veiga aus Barcelona, der mit seiner Hülle aus eingetieft kassettierten Betonelementen zwischen Horten und hellgrauer Kaaba changiert, wird das Nachleben einer entscheidenden mittelalterlichen „Findung“ in der Moderne untersucht: des Totentanzes.
Dabei gelingt der Ausstellung das Kunststück, ohne überflüssige Worte zur gut vertrauten Ikonographie zu verlieren, doch alles Wesentliche zu diesem Thema zu sagen, indem der bis dato sträflich vernachlässigte zweite Teil des Wortes beherzt und beschwingt ernst genommen wird. Hatte sich die Kunstgeschichte doch bislang stark für das ständeübergreifende Wirken des Schnitters interessiert, der, als großer Gleichmacher personifiziert, im Gerippe mit Sense und immer ohne Ansehen von Rang oder Geschlecht Päpste wie einfache Mönche, Kaiser wie Bettler und Edelleute wie Handwerker mit sich reißt. Viel weniger im Fokus stand dagegen die Form dieses Totenzuges, der Tanz nämlich.
Die Schweiz hat die höchste Totentanzdichte in Europa
Das aber ist seltsam, befand doch schon der Kirchenvater Augustinus, im Zentrum jedes Tanzes stehe der Teufel selbst. Sind somit alle vom teuflischen Tod zum Tanz Verführten, die Päpste und Edelfräulein, Barone und Bauern, Opfer eines unvermeidlichen Reigens direkt in die Hölle? Eher scheint hier das sprichwörtliche „Ihr müsst alle nach meiner Pfeife tanzen“ und eine menschliche Grunderfahrung zu greifen: Der erreichte Kontrollverlust durch ekstatische Musik und Tanz gleicht dem über unser Leben. Aus heiterem Himmel überkommen den Menschen Krankheit, Schicksalsnackenschläge und eben Tod. Und so muss auch Leonard Cohen, der sanft baritönende Buddhist aus Montreal, am Ende seines ausstellungstitelgebenden Klassikers „Dance me to the end of love“ trotz lange bewahrter Contenance dem Zucken in seinen Beinen nachgeben und ein Tänzlein wagen. Ohne Bewusstsein des jederzeit möglichen Endes keine wahre oder gar dauerhafte Liebe, so könnte der Subtext der Ausstellung auch lauten.
Dennoch fragt man sich anfangs, warum eine solche Schau im schweizerischen Chur und nicht in Bern oder Basel stattfindet, wo im sechzehnten Jahrhundert die beiden bedeutendsten Totentänze, einmal von Niklaus Manuel Deutsch an der Berner Dominikanerklostermauer, zum anderen von Hans Holbein, entstanden waren.
Der Schwenk des Fokus nach Graubünden liegt an der zweiten großen Wiederentdeckung der Schau, die im ehemaligen bischöflichen Weinkeller des prunkvoll wiedereröffneten Churer Domschatzmuseums als mittelalterlicher Konterpart zum modernen Teil präsentiert wird: Dort hängt in einer eigens gezimmerten Klimakammer, die in ihrer Holzsichtigkeit wie die helvetische Ausgabe des Heidelberger Riesenfasses wirkt, der eigentliche Schatz des Museums – ein Zyklus von fünfundzwanzig Todestanzbildern, die 1543 nach den berühmten und weitverbreiteten Holzschnitten Hans Holbeins des Jüngeren als kostbare Wandvertäfelung für das Bischöfliche Schloss in Chur geschaffen wurden. Seit Ende der siebziger Jahre waren sie im Depot des Rätischen Museums in Vergessenheit geraten, nun sind sie, sorgfältig restauriert, nach dieser langen Zeit erstmals wieder öffentlich zugänglich. Dabei zeigt schon der erste Blick auf die ganz in Schwarz-Weiß-Grau gehaltenen Meisterwerke, dass sich ihr anonymer Künstler mit dem Notnamen „Churer Maler“ nicht nur eng an die ikonischen Holzschnitte Holbeins gehalten hat – vielmehr verrät er sich in den Stilistika der Gesichtsbildungen und Details aus dem Holbein’schen Formenfundus, die auf den Holzschnitten gar nicht zu sehen sind, als zumindest zeitweiliger Mitarbeiter Holbeins in Basel.