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Ausstellung in Versailles : Des Königs wilde Untertanen

Benutzt, geliebt, verhätschelt und erforscht: Eine grandiose Ausstellung widmet sich der Tierwelt am Hof Ludwigs XIV., der zum Widerstandsnest gegen Descartes wurde, indem er den Mitgeschöpfen Verstand und eine Seele zusprach.

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          Nicht einmal Versailles war sich selbst genug. Der Hof des französischen Königs, eine Schöpfung von Menschenhand, war nicht organisch gewachsen, sondern konstruiert und erschaffen nach Plänen, die immer wieder erweitert und perfektioniert wurden, artifiziell bis in den letzten Winkel, ein Gesamtkunstwerk von höchstem Rang. Jede Hecke, jeder Baum, jede Blume musste sich dem menschlichen Willen unterwerfen, nicht einmal das Wasser war frei, so zu fließen, wie es seinem Wesen entsprach. Nichts in Versailles war natürlich, denn Versailles sollte der Natur huldigen, allerdings einer von Menschenhand verfeinerten Natur. Ludwig XIV. und seine genialen Künstler wollten zeigen, wie die Natur beschaffen sein könnte, wenn der Mensch sie ersonnen hätte: perfekter, harmonischer, nicht wildwüchsig und unberechenbar, sondern klugen, gründlich durchdachten Regeln gehorchend.

          Ohne Tiere war Versailles nicht Versailles

          Hubert Spiegel
          Redakteur im Feuilleton.

          Aber Versailles wäre eben nicht perfekt, nicht vollständig gewesen ohne all jene Lebewesen, die sich für die Macht des Königs und den Glanz seines Hofes nicht im Geringsten interessierten. Man muss es so deutlich sagen: Ohne Tiere wäre Versailles nicht Versailles gewesen. Tiere waren hier allgegenwärtig – als mythologische Wesen, Verkörperungen menschlicher Eigenschaften, als Symbolfiguren politischer Macht, aber eben auch als lebendige Geschöpfe, die den Palast und den Park buchstäblich zu Tausenden bevölkerten.

          Jäger und Gejagte: Die Schau präsentiert Gemälde von royalen  Hunden bei der Hatz  neben dem Skelett eines Afrikanischen Elefanten, den der Sonnenkönig als Geschenk erhielt – und nach dem Tod des Dickhäuters zwecks wissenschaftlicher Untersuchung sezieren ließ.
          Jäger und Gejagte: Die Schau präsentiert Gemälde von royalen Hunden bei der Hatz neben dem Skelett eines Afrikanischen Elefanten, den der Sonnenkönig als Geschenk erhielt – und nach dem Tod des Dickhäuters zwecks wissenschaftlicher Untersuchung sezieren ließ. : Bild: EPA

          Allein in den königlichen Ställen waren mehr als zweitausend Pferde untergebracht, und die Anzahl der königlichen Jagdhunde belief sich auf etwa dreihundert. Ludwig XIV. ließ die Billardtische aus einem der Vorräume zu seinen privaten Gemächern entfernen, um ein eigenes Zimmer für seine Lieblingshunde zu schaffen, für die sein Leibpatissier täglich frische Biskuits herzustellen hatte. Der König pflegte die Jagdhunde mit eigener Hand zu füttern, um sich so ihrer Ergebenheit und ihres Gehorsams zu versichern. Zum Dank ließ er etliche von ihnen porträtieren: überlebensgroß in Öl, als wären sie Angehörige des Hochadels, ihre Namen in imposanten goldenen Lettern auf der Leinwand verewigt: Blanche, Hermine, Merluzine, Muscade, Nonette, Zerbine.

          Pferde, Jagd- und Schoßhunde, exotische Vögel aus fernen Ländern, vielleicht noch Affen und einige Raubkatzen – all das gehörte selbstverständlich zum Leben bei Hofe und ist mehr oder weniger erwartbar. Aber wie vielfältig und komplex die Beziehungen zwischen Mensch und Tier waren, welch unterschiedliche Rollen Tiere bei Hof spielten und welche Reflexionen über das Verhältnis zu ihnen ausgerechnet in Versailles angestellt wurden, das ist eine veritable Überraschung, mit der zurzeit eine große Ausstellung im Château aufwartet. „Les Animaux du Roi – Die Tiere des Königs“ ist die erste eingehende Auseinandersetzung mit diesem Thema, und entsprechend aufwendig fällt sie aus: Mehr als dreihundert Exponate aus gut fünfzig Sammlungen werden gezeigt, darunter Stücke aus den Uffizien und dem Louvre, der kurzerhand seinen Chefkurator Nicolas Milovanovic ausgeliehen hat. Zusammen mit Alexandre Maral, dem „Conservateur général“ von Versailles, hat er eine Ausstellung konzipiert, die einem die Augen übergehen lässt und viel zu denken gibt.

          In Öl gemalt, in Kupfer gestochen

          Tiere waren Accessoires und schmückendes Beiwerk, aber als Repräsentationsfiguren ebenso wie als intime Vertraute und geliebte Wesen waren sie auch Teil des sozialen Gefüges in Versailles. Sie wurden gebraucht, benutzt und ausgestellt, verklärt und verhätschelt, geliebt und bewundert, studiert und gesammelt. Künstler widmeten sich den lebenden, Forscher den toten Tieren. Sie wurden in Öl gemalt und in Kupfer gestochen, sie wurden seziert und ausgestopft, ihre Skelette und inneren Organe wurden für die Nachwelt konserviert. Kunsthandwerker schufen zum Teil bizarr anmutende Objekte, etwa eine Dose im japonisierenden Stil in Form eines Hündchens oder einen Pferdeschlitten in Form eines Leoparden, der auf vergoldeten Kufen dahingleitet, geduckt und mit offenem Maul, als wäre er bereit zu Sprung und Angriff.

          Bedeutende Maler wie Jean-Baptiste Oudry und Françoise Desportes fertigten Vorstudien an, in denen die Tiere in verschiedenen Situationen und Haltungen zu sehen waren. Sie wurden dem König persönlich vorgelegt, der dann entschied, in welcher Pose welches Tier verewigt werden sollte. Aber nicht nur die Künstler nahmen jede Gelegenheit wahr, Tiere zu studieren – auf der Jagd, in der Menagerie oder in den Räumlichkeiten des Palastes, die von Hunden, Katzen, Vögeln und Affen bevölkert wurden. Ludwig XIV. verfügte, dass die exotischen Tiere, die am Hof lebten, nach ihrem Tod nach Paris gebracht und der Akademie der Wissenschaften zu Forschungszwecken überlassen wurden.

          Vor den Augen des Monarchen zerlegt

          Als der Afrikanische Elefant, den ihm der König von Portugal 1668 zum Geschenk gemacht hatte, 1681 starb, wurde das Tier seiner Größe wegen noch in Versailles im Beisein des Königs von dem berühmten Anatomen Joseph-Guichard Du Verney seziert. Der zweite Elefant von Versailles ließ fast ein ganzes Jahrhundert auf sich warten: Die Indische Elefantenkuh aus der damaligen französischen Kolonie Chandernagor traf nach mehr als einjähriger Reise zu Lande und zu Wasser 1773 in Versailles ein, wo sie neun Jahre später aus ihrem Gehege ausbrach und nach wilder Flucht durch den Park im Grand Canal ertrank. Napoleon ließ das Tier in Padua ausstopfen. Heute steht es in der Ausstellung zwischen Ölgemälden von Bibern, Kreidestudien von Stachelschweinen und den kostbaren, atemberaubend schönen Pergamentmalereien von Nicolas Robert, einem Miniaturisten, der für Gaston d’Orléans gearbeitet hatte, bevor Ludwig XIV. ihn in seine Dienste nahm. Und erstmals seit mehr als zweihundert Jahren ist wieder ein großer Teil der exaltierten Brunnenfiguren zu sehen, die nach den Fabeln des Äsop geschaffen wurden und einen abgetrennten Bereich des Schlossparks schmückten, darunter auch ein diabolischer Affe, der auf einem Ziegenbock reitet.

          Der Rang, den die Tiere innehatten, färbte auf jene ab, die sie künstlerisch verewigten, und umgekehrt. Man stellte hohe Ansprüche, legte größten Wert auf Natürlichkeit, Lebhaftigkeit des Ausdrucks, Darstellung der individuellen Charaktere und orientierte sich dabei an den Meistern der niederländischen Por­trätmalerei. Nicasius Bernaerts aus Antwerpen fertigte 42 Tierstudien für den Pavillon der Menagerie, entwarf Wandteppiche und Tapeten. Adam Frans van der Meulen, eigentlich ein Schlachtenmaler aus Brüssel, galt als der beste Maler der königlichen Pferde und bezog das stattliche Salär von jährlich sechstausend Livres. Zum Vergleich: Die Drucker von Diderots „Encyclopédie“ erhielten Jahrzehnte später nur wenig mehr als ein Zehntel dieser Summe. Jean-Baptiste Oudry schuf das offizielle Porträt eines Tieres, das unter Ludwig XV., der die Katzenaristokratrie in Versailles einführte, in der höfischen Rangordnung einen herausgehobenen Platz einnahm: „Le General“, eine große schwarze Perserkatze. Zu noch mehr Ansehen brachte es wohl nur Brillant, des Königs weiße Angorakatze: Wenn der Conseil du Roi, der französische Staatsrat, tagte, thronte Brillant auf einem roten Samtkissen auf dem Kaminsims über den Köpfen der Minister.

          Derlei Anekdoten sind unterhaltsam und besagen etwas über königliche Vorlieben und Extravaganzen von Ludwig XIV. bis zu Ludwig XVI., aber ideengeschichtlich spannend wird es erst, wenn die naturwissenschaftlichen und philosophischen Schriften ins Spiel kommen, die damals in Versailles entstanden. Einen Hund oder eine Katze zu streicheln ist das eine, sich zu fragen, warum das Tier sich überhaupt streicheln lässt und was es dabei empfindet, das andere. Zu welchen Gefühlen sind Tiere fähig? Haben sie einen Willen? Vielleicht sogar Rechte? Was unterscheidet sie vom Menschen, und trägt dieser womöglich eine Verantwortung für sie?

          Auch das Tier ist keine Maschine

          Die Zuständigkeit für die Beantwortung solcher Fragen hatte bis dahin bei der Kirche gelegen. Nun trat die Philosophie auf den Plan. 1637 erschien der „Discours de la méthode“, in dem Descartes die These von den „animaux-machines“ aufstellte: Tiere, so Descartes, seien gefühllose Maschinenwesen, in ihrem ganzen Handeln nicht anders als Uhrwerke, den Gesetzen ihrer Mechanik unterworfen. Damit löste er in Versailles so etwas wie eine tierethische Gegenrevolution aus, die Jahrzehnte andauerte: Der Hof wurde ein Widerstandsnest, ein Zentrum des anti-cartesianischen Denkens, von Claude Perrault, dem Architekten und Naturwissenschaftler, über Liselotte von der Pfalz, die Schwägerin des Königs, die sich selbst ein „Bärenkatzenaffengesicht“ bescheinigte, bis zu Paradis de Moncrif (Histoire des Chats) und Claude Adrien Helvétius, der in seiner Abhandlung „De l’esprit“ eine Theorie der animalischen Intelligenz entwickelte. Zum bedeutendsten Versailler Gegner der Maschinenthese wurde jedoch Charles-Georges Leroy (1723 bis 1789), der Kommandant der Jagdaufseher des Königs. Er gewann seine Überzeugungen aus der unmittelbaren Anschauung und leitete seine Theorien aus den Beobachtungen ab, die er bei den Tieren von Versailles machte.

          Niemand hatte Descartes’ Gedanken über die Tiere prägnanter – und mitleidloser – auf den Punkt gebracht als der Philosoph und Kleriker Nicolas Male­branche: „Sie essen ohne Freude, sie weinen ohne Schmerz, sie glauben ohne Wissen, es verlangt sie nach nichts, sie fürchten nichts“ (De la recherche de la vérité, 1674). Leroy, ein Freund der Enzyklopädisten Diderot und D’Alembert, hielt dagegen. Er veröffentlichte Bücher über die Intelligenz der Tiere und über ihre Instinkte und publizierte schließlich die „Lettres philosophiques sur l’intelligence et la perfectibilité des animaux“, in denen er sich auch gegen die von Rousseau vertretene These stemmte, dass nur der Mensch, nicht aber das Tier die Fähigkeit zur Vervollkommnung seiner selbst habe. Mit anderen Worten: Tiere seien unfähig, zu lernen. Der Jagdaufseher Leroy wusste es besser als der Philosoph Rousseau. 1768 schrieb Leroy: „Ich sage, Monsieur, dass die Tiere wie wir sind; und ich glaube, dass man, um etwas anderes zu denken, seine Augen und sein Herz vollständig verschließen muss.“ Hatte Versailles, das kalte, selbstherrliche Zentrum des Absolutismus, denn ein Herz? Nach dem Besuch dieser faszinierenden Ausstellung möchte man es beinahe glauben.

          „Les Animaux du Roi“. Chateau de Versailles, bis 13. Februar. Der Katalog kostet 49 Euro.

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