Nicole Eisenman in München : Böse Mädchen malen überall hin
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Ihre Bronzen wandeln die Antike ab: Links reitet bei „Man at the Center of Men“ die Frau auf dem Mann wie Ariadne auf dem Panther, in der Mitte schuftet der „Pole Bearer“. Bild: Nicole Eisenman. Foto: Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Museum Brandhorst, München
Löschen Brunnen den Schmerz von Tränengas? Das Museum Brandhorst in München zeigt die durch und durch politische US-Künstlerin Nicole Eisenman.
Statt ihre Steinzeithöhlen zu fegen und den Kindern Saurierfrikadellen zu braten, verbringen Betty Geröllheimer und Wilma Feuerstein ein zärtliches Stündchen miteinander während Barney und Fred im Steinbruch malochen. Nicole Eisenmans freches Bild „Betty gets it“ von 1992 kombiniert die beiden Comicfiguren, die besagen, dass es auch in der Steinzeit schon gleichgeschlechtliche Liebe gab, mit einer Zielscheibe. Auf sie könnte nun die bürgerliche Moral ihre Pfeile abfeuern, aber indem das Motiv auch die „Targets“ von Jasper Johns zitiert, erinnert es an Künstler, die, wie Johns, ein paar Jahrzehnte früher ihre Homosexualität noch heimlich lebten. 1965 geboren, muss Nicole Eisenman das nicht, sie tut das krasse Gegenteil, als sie nach ihrer Kunstausbildung ab 1987 ins New Yorker East Village zieht, in eine „wüste und laute lesbische Community“, der sie mit explizit drastischen, nicht selten pornographischen und oft auch sehr witzigen Arbeiten zu queerer Liebe eine Stimme gibt.
Als Kniff, die Dinge abgefedert beim Namen zu nennen, nutzt sie Populärmedien wie Comic oder Werbung – und vor allem die Kunstgeschichte. Die Künstlerin kennt sich bestens aus, auch während des Münchenaufenthalts anlässlich ihrer großen Ausstellung im Museum Brandhorst, verschwand sie für Stunden in der Alten Pinakothek. Von Renaissance bis Picasso, von Rubens bis Philip Guston zitiert sie Männerkunst, was das Zeug hält, nur dieses Mal aus feministischer Perspektive.
Vom Erfolg in die Vergessenheit
So steht auf dem Ölbild „Spring Fling“ Jean-Auguste-Dominique Ingres’ angebundene Angelica ohne Ungeheuer und Ritter Ruggiero da, stattdessen hindern Eisenschellen an Fuß und Arm den zarten Mädchenakt, sein schiefes Blumenkörbchen zu richten und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Oder „La Dance“ von Henri Matisse: den wilden Reigen nackter Frauen lässt die Künstlerin nun einen Mann am Marterpfahl in ihrer Mitte umringen. Das Aquarell steckt in einer großen Gruppe direkt auf die Wand gepinnter Skizzen und Zeichnungen; zu Beginn der Neunzigerjahre fiel die Künstlerin mit solchen in Offspaces gezeigten Installationen engagierten Galerien auf, die eine steile Karriere zum Superstar anschieben halfen.
Schon 1995 kommt eine Einladung zur Whitney Biennale, und gegen Ende des Jahrzehnts sah man Eisenman bereits riesengroße temporäre Wandarbeiten in Institutionen wie dem Amsterdamer Stedelijk Museum zeigen, und heute müssen die Häuser froh sein, die ihre Werke noch finanzieren können. Als sie zwischendurch einmal meinte, einen Mangel an Nachfrage zu spüren, reagiert Eisenman mit Werken zur Künstleridentität, lässt etwa eine Malerin mit leicht verblödeten Gesichtsausdruck am Pinselende kauend auf „Inspiration“ aus der grauen Wolke über ihr warten. Für „From Success to Obscurity“ (Vom Erfolg in die Vergessenheit) steckt Eisenman ihr Alter Ego in die Gestalt von The Thing aus dem Marvel-Comic „Die fantastischen Vier“. Mit Schrecken im Blick liest die Figur einen Brief, vor dessen offenbar unangenehmem Inhalt sie auch ihre ultradicke Haut aus Steinen nicht schützen kann.