Helga-Paris-Ausstellung : In Zuneigung porträtiert
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Genau datiert ist kaum eines der Künstlerporträts, die Helga Paris in ihrem Freundeskreis aufnahm. Núria Quevedo in ihrem Atelier fotografierte sie in den Siebzigerjahren. Bild: Archiv Helga Paris
Berlin geht auch 150 Kilometer südlich: Der Kunstverein Talstraße in Halle stellt den künstlerischen Umkreis der Fotografin Helga Paris während der Endphase der DDR aus.
Helga Paris und Halle, das ist eine besondere Geschichte. Die Fotografin lebte nie dort, aber sie hat den umfangreichsten Bilderzyklus über die Stadt geschaffen: in den mittleren Achtzigerjahren, als Paris’ Tochter Jenny in Halle studierte. Öffentlich gezeigt werden durften diese Schwarzweißaufnahmen einer verfallenden DDR-Großstadt damals nicht, obwohl der Katalog „Häuser und Gesichter“ schon gedruckt war; nach mehrmaligen Verschiebungen der zugehörigen Ausstellung wurde er aber eingezogen. Die Friedliche Revolution von 1989 ermöglichte im Folgejahr dann doch noch Ausstellung und Katalogverkauf, die Fotoserie und Halle wurden berühmt als „Diva in Grau“, und fortan war Helga Paris in der Stadt eine feste Größe.
Doch ihre eigentliche Wirkungsstätte war Berlin, wohin die 1938 geborene Helga Steffens als Flüchtlingskind aus Pommern kam, Modegestaltung studierte, den Maler Ronald Paris heiratete und sich mit Ende zwanzig zur Fotografin ausbilden ließ. Das Paar gehörte zur Künstlerszene in Prenzlauer Berg, enge Freundschaften pflegte Helga Paris besonders zu Schriftstellerinnen wie Elke Erb, Christa Wolf und Sarah Kirsch. So entstanden Fotos, die nicht nur Lebensumstände dokumentieren, sondern auch Lebensschwierigkeiten. Und persönliche Zuneigung. Nur blieben sie lange als Werkgruppe unbekannt, weil Helga Paris durch den Halle-Zyklus im wiedervereinigten Deutschland als wichtige Protagonistin der Straßenfotografie galt. Als im vergangenen Jahr ihr Band „Künstlerportraits“ erschien, war das Staunen groß.
Es ist noch größer angesichts der Ausstellung „Wieder sehen“, den der Kunstverein Talstraße nun für Helga Paris und ihr Umfeld ausrichtet – in Halle, nicht in Berlin, obwohl es dabei vor allem um den Berliner Kreis geht. Rund sechzig Aufnahmen bilden den Ausgangspunkt der Schau, doch sie sind leider erst am Ende des Parcours versammelt, im zweiten Obergeschoss. Dort entfaltet sich ein Panoptikum unangepasster DDR-Kunst mit Protagonisten wie Heiner Müller, Cornelia Schleime, Helmut Brade, Günter de Bruyn, Katja Lange-Müller, Carlfriedrich Claus, Ursula Scheib, Adolf Endler oder Bert Papenfuß und an Schauplätzen wie dem Atelier von Hans Scheib oder dem Salon von Ekkehard Maaß. Immer wieder in Gruppenbildern dabei übrigens Sascha Anderson – wie als Mahnung, dass es in der DDR keine geschützten Bereiche gab.
Zu den Fotos von Helga Paris gibt es die Werke der porträtierten Künstler
Im ersten Geschoss aber bietet die Schau Arbeiten von zehn Künstlern aus Paris’ Umfeld, die um die jeweiligen Porträtaufnahmen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren arrangiert sind. Die Auswahl ist nicht repräsentativ, der Bekannteste dürfte Harald Metzkes sein, die Ungewöhnlichsten sind Charlotte E. Pauly als Angehörige einer älteren Generation (geboren 1886), die mit fast neunzig noch späte Anerkennung in der DDR fand, und die mit Paris gleichalte Núria Quevedo, die als Tochter spanischer Exilanten 1952 nach Ost-Berlin gekommen war. Die meisten Karrieren der Ausgestellten erlebten nach 1989 einen Bruch, am tragischsten im Fall von Christa Böhme, die sich 1991 das Leben nahm. Ihre großformatig-expressiven Gemälde, die oft bewusst Leinwand oder Grundierung durchscheinen lassen, sind die eindrücklichsten Arbeiten der Ausstellung.
Ronald Paris ist mit seiner Spanien-Sehnsucht wiederum der Farbigste im ansonsten eher gedeckt daherkommenden künstlerischen Schaffen des Prenzlauer Bergs, das in der Schwarzweißmeisterin Helga Paris genau die richtige Porträtistin fand: kühl im Duktus, spontan in der Momentwahl. Die meisten Aufnahmen entstanden in den Ateliers, und es gibt nur wenig stolze Blicke in die Kamera; meist sind die Künstler versunken in ihrer Arbeit oder in winzigen Besinnungspausen eingefangen. Die Fotos triumphieren meist über deren eigene Werke.
Das liegt auch daran, dass es kaum gelungen ist, Arbeiten aus der Zeit der Aufnahmen für die Ausstellung zu bekommen. Die meisten stammen aus deutlich späteren Werkphasen, im Falle von Charlotte Pauly auch aus deutlich früheren, und so gehen die Porträts der Künstler und ihre Schaffenszeugnisse jeweils nicht aufeinander ein – Verbindung bleibt allein die jeweilige Persönlichkeit, und deren Erfassung wird dadurch erschwert, dass sämtliche biographischen Information in der Schau nur mittels QR-Codes erlangt werden können. Durchs ständige Starren aufs eigene Smartphone wird die Ausstellung selbst entwertet – ein gegenwärtig häufiges Problem, wenn Medieneinsatz nur Praktikabilitätsüberlegungen folgt, keinen ästhetischen.
Aber da wäre ja noch erfreulich aufwendige Katalog. Doch leider verzichtet der auf den größeren Teil der Helga-Paris-Fotos und setzt damit den Schwerpunkt auf die anderen Künstler, von denen aber nur dieselben für den Kontext der Bekanntschaft zu späten oder zu frühen Werke enthalten sind, die auch in der Ausstellung zu sehen sind. So schön und interessant der Ansatz, so unbefriedigend die Ausführung.
Wieder sehen – Berliner Künstlerinnen und Künstler treffen Helga Paris. Im Kunstverein Talstraße, Halle; bis zum 5. Februar 2023. Der Katalog kostet 29,90 Euro.