Kunstvolle Bodenseeregion : Na, Hunnen, wie schmeckt euch das?
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Zuflucht, Verbannung, Freiraum: Eine Ausstellung im Zeppelin Museum Friedrichshafen untersucht das Leben der Künstler am Bodensee.
Dass die Sehnsucht des einen dieselben Koordinaten haben kann wie die Hölle des anderen, ist eine Erfahrung mit einiger Tradition. Wie man auf einen bestimmten Ort reagiert, ist aber nicht nur eine Frage des jeweiligen Gemüts, sondern auch der Umstände, die einen dort hinführen – wer, wie Annette von Droste-Hülshoff, freiwillig an den Bodensee reist, um dort dem Familienregiment zu entkommen, wird sich eher mit dem Gedanken anfreunden, dort sesshaft zu werden, als jemand, der wie der Maler Otto Dix dorthin nach dem Verlust seiner Professur an der Kunstakademie in Dresden flieht. Allerdings konnte die Dichterin das in Meersburg gekaufte Haus nicht richtig nutzen, weil sie allzu früh starb, während Dix bis zum Lebensende am Bodensee blieb. Was ihm dort fehlte, benannte er schon 1936 in einem Brief: „Es gibt nichts Stupideres und geistig Sterileres als Leben auf dem Dorf.“ Und aus der Rückschau von 1965 meinte er: „Landschaften habe ich in der Nazizeit massenhaft gemalt. Hier war ja weiter nichts.“
Der Frage, was da war am Bodensee seit knapp zweihundert Jahren, geht eine Ausstellung im Zeppelinmuseum nach. Einen passenderen Ort dürfte man nur schwer finden, schließlich geht die Ausstellungsfläche im unteren Teil des alten Seebahnhofsgebäudes auf eine Fensterfront zu, hinter der man die Bodenseeschiffe in Friedrichshafen landen sieht. Der eigentliche Raum, in Dämmerlicht getaucht und von parallelen Holzgestellen unterteilt, soll nach dem Willen der Kuratoren entfernt an ein Wohnzimmer erinnern, in dem man sich zu Hause fühlen kann – wer mag, kann den Rundgang in eigens hergestellten Hausschuhen absolvieren, im Erdgeschoss stehen Lesesessel und eine gemütliche Sitzgarnitur, und die Eintrittskarte berechtigt zum mehrfachen Wiederkommen.
So lassen sich die etwa 240 Exponate genauer ansehen, als dies bei nur einem Besuch möglich wäre, oder die ausliegenden einschlägigen Bücher studieren. Gleich zu Beginn begegnet einem das Standardwerk zum Thema, Manfred Boschs großartige Studie „Bohème am Bodensee“, erschienen vor 25 Jahren im Libelle Verlag, in weiteren Regalen und auf Beistelltischen sind Bücher zu einzelnen der Künstler und Autoren zu finden, denen sich die Ausstellung widmet.
Zeitlich setzt sie im frühen neunzehnten Jahrhundert an, als sich nach den Napoleonischen Kriegen und einem weiteren Bedeutungsverlust der Region der Blick – wie andernorts auch – auf die Historie richtete. Bodenseeromane entstanden zuhauf, am berühmtesten wurde „Ekkehard“ von Joseph Victor von Scheffel, erschienen 1855. Eine Lesart des Romans zeigt sich in Joseph Wopfners verklärtem Bild „Flucht der Reichenauer Mönche“, dessen Lichtregie einen hellen Glanz auf den kirchlichen Würdenträger in der Mitte der Flüchtlinge vor den Hunnen setzt und keinen Zweifel daran lässt, wer hier mit dem Beistand von ganz oben rechnen kann.
Wo ist der Rote Faden?
Auch Gustav Schwab mit seinem Gedicht „Der Reiter und der Bodensee“, Annette von Droste-Hülshoff oder Felix Dahn mit dem Roman „Bissula“ tragen zur Literarisierung der Landschaft bei, die zugleich von den nun zahlreicheren Besuchern als rückständig wahrgenommen wird. Welcher Reiz gerade darin liegt, arbeitet die Ausstellung an vielen Beispielen heraus, indem sie die Anrainergemeinden in ihrer Funktion als Zufluchtsorte kennzeichnet, als Schauplätze von künstlerischen, literarischen oder auch pädagogischen Experimenten, begünstigt durch niedrige Lebenshaltungskosten und eine Abgeschiedenheit, die Freiräume bereitstellte und bei manchem offenbar nach einiger Zeit auch Überdruss hervorbringen konnte.