Ausstellung „BioMedien“ im ZKM : Nachricht aus dem Tal des Unheimlichen
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Datenhunger: In Aristarkh Chernyshevs AR-Fiktion „PiO“ leistet ein smarter Blutegel Gesundheitsfürsorge. Bild: Aristarkh Chernyshev
Das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zeigt mit seiner Ausstellung „BioMedien“, in welchen künstlichen Ökosystemen wir künftig leben könnten.
Wuschelige bunte Gestalten weisen den Weg: In allen Regenbogenfarben leuchtet am Eingang der Ausstellung „BioMedien“ im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) eine endlose Parade schreitender, tänzelnder oder hopsender Figuren in der Projektion „Infinity“. Die Gestalten würden in jeder „Star Wars“-Kneipe als Sympathieträger durchgehen oder könnten als digitale Vettern rheinischer Lappenclowns gute Laune verbreiten. Das Künstlerkollektiv Universal Everything lässt sie von einem Computercode nach dem Zufallsprinzip kreieren – unter Verwendung menschlicher Bewegungsmuster, was den Kunstwesen eine überraschend organisch anmutende Lebhaftigkeit vermittelt.
Als vertrauenerweckendes Empfangskomitee sind die artifiziellen Performer klug gewählt, könnte der Untertitel der Schau doch auch Schaudern provozieren. Es geht um „Das Zeitalter der Medien mit lebensähnlichem Verhalten“: also um unsere Gegenwart und Zukunft. Knuffige Figuren wie in „Infinity“ sind Gegenbilder dessen, was aus der Vergangenheit gedanklich bereitstehen könnte: die Automatenfrau Olympia etwa, die der Romantiker E.T.A. Hoffmann in seiner Erzählung „Der Sandmann“ auftreten ließ. Tödlicher Wahn erfasst darin den Mann, der einer mechanischen Illusion des Natürlichen verfällt. Sigmund Freud leitete aus dem literarischen Text seinen Begriff des Unheimlichen ab. Inzwischen spricht man vom „Uncanny Valley“, dem unheimlichen Tal, das es bei der Begegnung mit scheinlebendigen Objekten zu durchschreiten gilt. Geprägt hat den Begriff der Robotiker Masahiro Mori. Wie leichtgängig die Kontaktaufnahme dagegen für Kinder ist, lässt sich in der „BioMedien“-Schau erleben, wenn die Jüngsten mit dem sozialen Roboter Pepper interagieren. Für sie ist der auf Kommando Witze erzählende oder Musik abspielende Automat, den ein französischer und ein japanischer Konzern koproduziert haben, dem Anschein nach als Übergangsobjekt so akzeptabel wie ein Teddybär – und wird sogar gestreichelt.
Daran, dass wir Softwaresysteme anfragen können, als wären sie Menschen – „Hey Siri!“ –, haben sich viele Nutzer von Sprachassistenten schon gewöhnt. Und von künstlichen neuronalen Netzwerken, sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI), gesteuerte humanoide Roboter haben seit einigen Jahren medienwirksame Auftritte als Malerin oder Nachrichtensprecherin. Meist handelt es sich bei diesen Attraktionen, Pygmalion lässt grüßen, um von Männern gebaute Roboterfrauen. Die Ausstellung in Karlsruhe macht mit Arbeiten von rund sechzig Künstlerinnen und Künstlern ein sehr viel weiteres Feld auf, das ZKM-Chef Peter Weibel kuratorisch mit einem etwas kühnen Dreisprung eröffnet: Das 19. Jahrhundert sei die Ära der Bewegungsmaschinen gewesen, das 20. Jahrhundert die der Bewegungsmedien und mit dem 21. Jahrhundert das Zeitalter der biomimetischen Medien angebrochen.
Leben als Datenverarbeitung
Doch was ist das überhaupt, das Leben? Stoffwechsel, Reizbarkeit, Reproduktionsfähigkeit, Wachstum, Selbstorganisation und Evolution werden zu seinen Kennzeichen gezählt. Seit der Entdeckung des genetischen Codes ist eine weitere Definition leitend: Leben als Informationsverarbeitung und -weitergabe. Konnte das Zeitalter der Aufklärung sich Lebewesen als Maschinen vorstellen, wie es Offray de La Mettrie in seiner Abhandlung „L’homme machine“ tat, werden heute Analogien zwischen Organismen und computerbasierten Systemen gezogen. Der Komplexität des Lebens oder mit der Biomasse verschränkten Bewusstseins wird das eine so wenig gerecht wie das andere. Doch Medien, die sich biomimetisch verhalten, sind dank moderner Datenverarbeitung möglich, für viele Industriezweige reizvoll und bergen künstlerisches Potential. Die implizite Frage lautet dabei immer wieder: Was macht das Leben aus – und den Menschen? Und wie human gestaltet sich die Technomimesis?