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Wiener Arik-Brauer-Ausstellung : Eine sagenhafte Figur aus Ottakring

Am Tisch kniend hat er sich selbst verewigt: „Alle meine Künste“ malte Arik Brauer 2003 auf Keramikfliesen, mit denen er einen Teil der Fassade seines Wiener Privathauses verschönerte. Bild: Jüdisches Museum Wien / Fuhrer, Wien

So viele Talente, und keines vergeudet: Wien zeigt im Jüdischen Museum Dorotheergasse eine Ausstellung zu Leben und Werk des Universalkünstlers Arik Brauer.

          4 Min.

          Wirklich berühmt wurde Arik Brauer 1971 mit einer Schallplatte. Im Wiener Dialekt gesungen, sind auf der LP mit dem Titel „Arik Brauer“ Lieder zu hören, die in Österreich heute jeder kennt. Volksliedhafte, gassenhauerische Alltagsbeobachtungen über den österreichischen Jedermann („Sein Köpferl im Sand“) oder die Zumutungen der Gegenwart („Se ham a Haus baut“). Später hat man darin Brauer als Vorläufer des Austro-Pop erkannt, aber da war der vielfach begabte und rastlos kreative Brauer längst schon wieder anderswo. Seine Lieder aber blieben im kollektiven Gedächtnis der Nachgeborenen im ganzen süddeutschen Raum.

          Hannes Hintermeier
          Feuilleton-Korrespondent für Bayern und Österreich.

          Dass Brauer damals bereits als Maler eine international bekannte Größe war, weil er als Schüler Albert Paris Güterslohs zusammen mit Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Wolfgang Hutter und Anton Lehmden die Speerspitze dessen war, was unter dem Begriff Wiener Schule des Phantastischen Realismus in die Kunstgeschichte einging, drang durch die Sangeskarriere erst in eine breitere Öffentlichkeit vor.

          Brauer malt altmeisterlich auf Holz, seine frühen Bilder verweisen deutlich auf die Vorbilder Brueghel und Bosch. Aus dem Frühwerk sticht „Mann im Gas“ hervor von 1946/52, ein kahler Alter mit schicksalsergebenem Blick, eine feine Blutspur an Auge und Mund, umwölkt von Schleiern, die ein verdecktes Frauengesicht freigeben. Schläft sie? Ist sie tot? Später werden die Gestalten surrealer, Mischwesen bevölkern ein quietschbuntes Universum biblischer Szenen.

          Die Liste der Verluste ist lang

          Weniger bekannt war damals, was man nun in einer Ausstellung im Jüdischen Museum Wien besichtigen kann – Brauers Lebensweg ist voller Haken und Fluchten, Genrewechsel und Neuinszenierungen. Wir begegnen hier einem wirklichen Überlebenskünstler. Erich Brauer, der 1929 geborene Wiener Gassenbub aus Ottakring, ist Sohn eines illegal eingewanderten orthopädischen Schusters aus Litauen namens Simche Mosche Segal, der sich in Wien einen neuen Namen gab und Hermine Sekirnjak ehelichte, die einer sozialdemokratischen Familie entstammte.

          Kostüme, Instrumente, Choreographie und Musik – alles aus einer Hand: Arik und Naomi Brauer als jemenitisches Tanzduo im Jahr 1957 Bilderstrecke
          Arik Brauer : Bilder eines Künstlerlebens

          Der Knabe liebte die Natur, und er war künstlerisch sehr begabt. Das Porträt der Großmutter, das er als Neunjähriger nach einer Fotografie anfertigte, ist von einer solchen Meisterschaft, dass man unwillkürlich an Dürer denkt, der im Alter von dreizehn Jahren sein erstes Selbstbildnis schuf. Mit Ernst Fuchs, dem Jugendfreund, lieferte sich Erich Zeichenduelle im Genre Cowboy und Indianer. Eine unbeschwerte Kindheit, bis 1938. Zum Juden sei er erst durch Hitler geworden, bemerkte Brauer später.

          Als die SA kommt, um die Werkstatt des Vaters zu plündern, sperrt die Hausmeisterin des Gemeindebaus den Knaben im Abort ein – obwohl sie Antisemitin ist. In einem Schrebergartenversteck überlebt er die letzten Kriegsmonate und trifft dort auf einen „arischen“ Schulfreund, den seine Mutter vor dem Zugriff des Volkssturms in Sicherheit brachte. Dieser Peter Stockhammer wurde später unter dem Künstlernamen Peter Heinz Kersten ein berühmter Zauberer.

          Die Liste der Verluste Arik Brauers ist lang. Seine Jugendliebe Litzi wurde, kurz nachdem sie ihm den ersten Kuss gab, deportiert und ermordet – ihre dicken Zöpfe verewigte Brauer auf seinen Bildern später in wolkenähnlichen Haargebilden, einem durchgehenden Motiv in seiner Malerei. Brauers Vater versuchte sich vor dem Zugriff der Nationalsozialisten durch Flucht in die alte Heimat zu retten, nur um in Riga im Getto zu landen.

          Den Tod des Vaters hat Brauer immer wieder thematisiert. Eines der berührendsten Bilder der Ausstellung trägt den Titel „Mein Vater im Winter“. Es stammt aus den Jahren 1983/84 und zeigt einen ausgemergelten Mann in einen Mantel gehüllt, überlebensgroß vor einer Schneelandschaft, in der Krematorien stehen, aus deren Schloten schwarzer Rauch quillt. Auf der Brust trägt er einen leuchtenden Judenstern mit hebräischen Schriftzeichen, die man auch als „Papa“ lesen kann. Auf dem Kopf sitzt ein schwarzer Totenvogel, Symbol für den SS-Mann, der dem Sterbenden kurz vor dem Tod eine Decke spendierte, wie später Überlebende des Holocaust berichteten. Zu sehen ist auch eine Flöte, die eine geistig zurückgebliebene Achtjährige Brauer schenkte, bevor sie deportiert wurde. „Dummerl sterben, nicht Flöte“, sagte das Mädchen zum Abschied.

          Von solcher Art sind viele Geschichten dieser von Danielle Spera und Daniela Pscheiden kuratierten Schau – sie hebt auf die Grautöne ab, die Brauers Leben grundieren, nichts ist ihm nur schwarz oder weiß, dazu hat er zu viele Erfahrungen mit Menschen gemacht. Nach dem Krieg engagiert er sich etwa in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei, wird mit deren Ideologie aber auch nicht glücklich. Er studiert Malerei und Gesang, tritt Mitte der fünfziger Jahre mit seiner Schwester als Tanz-und Gesangsduo „Geschwister Brauer“ in Israel auf, lernt dort seine künftige Frau Naomi kennen, Tochter des jeminitischen Juden Yechiel Dahabani, der Theodor Herzl bei dessen erster Reise durch Palästina geführt hatte und 107 Jahre alt wurde.

          Ebenso schön wie tatkräftig

          Weil Naomi „Erich“ nicht aussprechen kann und ihn „Arik“ nennt, behält er den neuen Vornamen. Die Gattin, auch nach mehr als sechs Jahrzehnten Ehe als Managerin ihres Mannes aktiv, ist ebenso schön wie tatkräftig. Sie folgt ihm schweren Herzens nach Wien. Drei Töchter entstammen dieser dynamischen Verbindung. Die Tatkraft, die Brauer seit Jahrzehnten an den Tag legt, ist staunenswert. Er hat komponiert, Möbel entworfen und gebaut – sein Schreibtisch steht gleich am Anfang des Rundgangs –, er hat Bronzen gegossen, Häuser und Einkaufszentren geplant, gebaut und bemalt. Für die Opernhäuser in Paris und Wien hat er Bühnenbilder und Kostüme entworfen, ist 1960 in einem Film mit Jean-Paul Belmondo zu sehen, er hat Instrumente gebaut, seiner Frau ein Kleid geschneidert und seine Villa im 18. Bezirk zu einem Gesamtkunstwerk inklusive Privatmuseum ausgebaut.

          „Alle meine Künste“ – der Titel der Ausstellung beschreibt punktgenau den schier unerschöpflichen Gestaltungswillen Arik Brauers, der im Januar neunzig Jahre alt geworden ist. Als moralisches Gewissen ist er schon länger gefragt, dass er auch den Kontakt zu den Populisten der FPÖ nicht scheut, finden die einen degoutant, die anderen lebensklug. Aber im Innersten ist Brauer immer ein Maler geblieben, auch heute noch malt er jeden Tag, zuletzt hat er unter dem Titel „A Jud und keck a no“ jüdische Witze gereimt und illustriert. Die pointillistischen Bleistiftzeichnungen beschließen eine Ausstellung, deren Bilder und Geschichten lange nachhallen.

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