Architekturbiennale in Venedig : Zur Hölle mit den Betonwüsten
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Stehlen, verziert mit goldenen Mosaiken. „The sky over nine columns“ des deutschen Künstlers Heinz Mack. Bild: AP
Das letzte Jahrhundert hätte ein weltweites Paradies bauen können, Was wurde aus dieser Chance gemacht? Die 14. Architekturbiennale in Venedig hält Rückschau auf hundert Jahre Moderne.
Den stärksten Eindruck am Eröffnungstag der Biennale hinterließ nicht die Ausstellung, sondern das Leben. Am späten Nachmittag schlenderten erschöpfte Besucher über die Straße, die zwischen dem Arsenale und den Giardini, den beiden Hauptorten des Ausstellungsparcours, auf die Lagune zuläuft. Dolce far niente, gemischt mit der Geschäftigkeit eines späten Samstagnachmittags, dem zwei Feiertage folgen werden. Plötzlich schiebt sich vom Meer her ein Hochhaus direkt auf die Straße zu. In Sekundenbruchteilen ist der Blick auf die Lagune verstellt. Man zuckt unwillkürlich zurück. Dann wird deutlich, dass ein Ozeanriese auf den Uferkai zuhält. Er dreht bei, die gigantischen Schiffsaufbauten und gestapelten Promenadendecks verschwinden. Gleich darauf ist der Blick auf die Lagune wieder frei. Der Schreckensmoment, dieses blitzartige Gefühl, von einem Riesen der Moderne überrollt zu werden, schwindet langsamer.
Seit Jahren predigen Umwelt- und Seefahrtexperten, dass die Ozeanriesen und Kreuzfahrtschiffe mit ihren Bugwellen tödlich für Venedigs Fundamente und Kanäle sind. Und seit ebenso vielen Jahren ignorieren Reedereien, Reiseunternehmen und Reisende, Stadt- und Hafenverwaltung diese Warnungen. Schön und zerbrechlich wie ihre Gondeln empfängt die Stadt tagtäglich die Kolosse und taumelt damit gutgelaunt ihrem Untergang entgegen. Womit sie diesmal mehr denn je der ideale Ort für eine internationale Architektur-Biennale ist. Denn die legt unter der Leitung von Rem Koolhaas, dem Superstar und Geiselmönch der Gegenwartsarchitektur, gnadenlos Rechenschaft ab über den Gang der Moderne zwischen 1914 und 2014.
Dinosaurier des überholten Industriezeitalters
Biennale 2014 – das ist ein Rückblick, so fassungslos und starr wie der von Giorgiones weltberühmter Medusa. Er macht die Präsentation zur eindringlichsten, ernsthaftesten und verwirrendsten seit vielen Jahren. Und, so frivol dies im ersten Moment klingen mag, auch zur schönsten. Denn wann hat man zuletzt eine so fesselnde Bildfolge betrachten können wie zum Beispiel die über das Werden des Mailänder Doms? Im Arsenale ist er Teil eines Abschnitts, der Mailand als europäisches Laboratorium des Städtebaus schlechthin zeigt. Zunächst erscheint ein schlichtes viereckiges Provisorium, das nicht ahnen lässt, welchen Rausch an gotischen Pfeilern und Gewölben das Innere birgt. Dann zeigen menschenwimmelnde manieristische und barocke Gemälde das Entstehen der opulenten Fassade, endend in wahren Feuerwerken aus Pfeilern und Fialen, Säulen und Bögen. Bis dann der architektonische und politische Größenwahn nach 1914 in Plänen für einen Campanile schwelgt, der zum Himmel ragt, als wolle er das Empire State Building Italiens und Europas werden.
Wer das Beispiel Mailand auf sich wirken lässt, hat zuvor schon ein atemberaubendes Labyrinth der Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts durchlaufen. Seinen Auftakt bilden Beispiele einer Moderne, die sich, anders als die Bauhaus-Asketen, nicht scheute, große Werke der Vergangenheit, insbesondere der Antike, zum Vorbild zu nehmen, und damit umwerfend schöne bildhafte Bauten schuf. Beispielsweise die grandiosen Industriekathedralen in Turin oder Genua, die Stadien und Werkshallen, deren Stahlträger und Betonrippen sich kühner und eindrücklicher spannen als die züngelnden Gewölbe der Spätgotik. Heute stehen diese Riesenbauten als Dinosaurier des überholten Industriezeitalters leer oder werden mit zweifelhaftem Erfolg zu Eventzentren umgerüstet.