Ausstellung „Schön hier“ : Alle wollen aufs Land
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Die Gemeindebücherei Gundelsheim von den Schlicht Lamprecht Architekten Bild: Stefan Meyer
Im Museumsdorf des Hessenparks bei Frankfurt zeigt das Architekturmuseum eine großartige Schau über Architektur auf dem Land. Sie verändert das starre Denken in den Kategorien Stadt und Provinz.
Sollte man sich geirrt haben? Wenn man um die Jahrtausendwende Studien und Bücher las, die von der Zukunft handelten, dann stimmten fast alle darin überein, dass diese Zukunft zum größten Teil in gigantischen Städten stattfinden würde. Wenn man der Studie, die das Berlin-Institut für Bevölkerungsentwicklung vor Kurzem zusammen mit der Wüstenrot Stiftung veröffentlicht hat, Glauben schenken darf, ist die Lage zumindest in Deutschland eine ganz andere. Wer innerhalb von Deutschland umzieht, zieht aufs Land – und zwar nicht nur in die Vororte in der Nähe der großen, meist für den Mittelstand unbezahlbar gewordenen Großstädte. Sondern richtig weit hinaus. Die Landgemeinden haben seit 2020 der Studie zufolge knapp zwei Drittel Einwohner durch Umzüge dazugewonnen. Ohne Zuwanderung aus dem Ausland, so die Studie, würden deutsche Großstädte im Schnitt sogar Bewohner verlieren.
Die Einzigen, die noch in großen Mengen das Land Richtung Großstadt verließen, seien die sogenannten „Bildungswanderer“, Menschen unter dreißig; junge Familien, die ihre Kinder lieber auf Wiesen und an Bächen als auf Stadtspielplätzen aufwachsen sehen wollen, und auch ältere Menschen zögen vermehrt aufs Land. Es mag sein, dass Corona und Home- office diesen Trend verstärkt habe, so die Verfasser, begonnen habe die Umkehr aber schon vor Corona – vor allem als Reaktion auf die durch Boden- und Bauspekulation enorm gestiegenen Miet- und Kaufpreise in der Stadt.
Wiederbelebung der Dorfplätze
Tatsächlich gibt es, auf das ganze Land betrachtet, keine Wohnungsnot, sondern nur ein Wohnraumverteilungsproblem: in den Städten verdrängen die Preistreiber mittlerweile sogar das klassische wohlhabende Bürgertum. Auf dem Land stehen währenddessen zauberhafte Dörfer leer, weil es dort keine Arbeit mehr gibt – oder keiner mehr die Arbeit machen möchte, die es dort gibt. Wie kann sich das ändern? Das Frankfurter Architekturmuseum zeigt noch bis zum 27. November im Museumsdorf des Hessenparks bei Frankfurt eine großartige Schau mit dem Titel „Schön hier. Architektur auf dem Land“, die einen Überblick gibt über all die Veränderungen, die, von den Städtern unbemerkt, gerade in Dörfern passieren.
Dazu ist ein Katalog erschienen, der sich wie ein Grundlagenwerk für die Wiederentdeckung des oft verpönten Landes liest: Zu sehen sind aufregend renovierte alte und neu aus Holz gebaute Häuser, in denen auch Großfamilien und Wohngemeinschaften leben und arbeiten können wie im bretonischen Erdeven; intelligent wiederbelebte Dorfkerne wie der des schweizerischen Dorfs Cressier, wo LVPH Architekten den verstreuten Häusern ein neues Zentrum implantiert haben, das die Lebendigkeit alter Dorfplätze zurückbringen soll. Die hochverdichtet gebauten Dorfhäuser im französischen Dorf Batilly, wo die Alten nicht ins Heim abgeschoben werden, sondern jeder in einem eigenen Mini-Haus mit Garten betreut wird. Dazu: Sportstätten, Jugendtreffs, Grundschulen, Kegelbahnen, Biergärten, Landbäckereien und andere Einrichtungen wie die gläsern am idyllischen Bachlauf leuchtende Kulturhalle von Kühnlein Architekten im bayerischen Berching oder die Gemeindebücherei von Gundelsheim, die das Dorfleben wieder lebendig und attraktiv machen sollen.
Wird das reichen? Vielleicht ermutigt die neue Land-Architektur dazu, das Leben eher in Phasen zu denken, anstatt dem verbreiteten Glauben anzuhängen, man könne nur entweder Städter oder Provinzler sein. Wer in der Stadt studiert, kann vielleicht später mit Kleinkindern ein paar Jahre aufs Land ziehen und, dank Internet und neuen, wirklichen Schnellzügen, trotzdem jedes Wochenende in der Stadt ausgehen – und später wieder dorthin ziehen. Vielleicht wird das 21. Jahrhundert ja nicht das der Metropolen, sondern eines, in dem man sich an eine seltsame Vergangenheit erinnert, in der Stadt und Land noch als unvereinbare, lebensentscheidende Gegensätze galten.