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Für Jüdisches Museum : Frankfurt kauft Nachlass von Gisèle Freund

Bitte recht skeptisch: Gisèle Freund in einem Selbstporträt, 1952 Bild: bpk/IMEC, Fonds MCC/Gisèle Freund

Volle Terminkalender, eine unvollendete Novelle und Ikonen der Fotografie: Die Stadt Frankfurt erwirbt Preziosen der bedeutenden Fotografin Gisèle Freund für das Jüdische Museum.

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          Den Hinweis „Wertvolle Fracht“ hätte Theo Rosenfeld an die Klappe seines Kombis kleben können, als er sich an diesem Mittwoch bei Schneetreiben, Eisregen und mit einer defekten Scheibenwischanlage auf den Weg von Weimar nach Frankfurt machte – zweiunddreißig Grafikboxen im Gepäck, jede von ihnen eine kleine Schatztruhe, gefüllt mit Manuskripten und Notizen, Telefonlisten, Tagebüchern und vor allem Stapeln alter Abzüge der Fotografin Gisèle Freund. Insgesamt ein nicht geringer Teil ihres Nachlasses. Jetzt stehen die grauen Schachteln als jüngste Erwerbung im fensterlosen Archivraum des Jüdischen Museums und füllen dort die Hälfte des Regals mit der Nummer 5. In der anderen Hälfte ist der Nachlass der Familie von Anne Frank untergebracht. Noch so ein musealer Schatz.

          Freddy Langer
          Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

          Gisèle Freund war Künstlerin und Theoretikerin zugleich. Im Jahr 1908 in Berlin geboren und dort aufgewachsen im großbürgerlichen Milieu des Judentums, studierte sie Anfang der Dreißigerjahre Soziologie, unter anderem bei Norbert Elias in Frankfurt. 1933 floh sie nach Paris, wo sie an der Sorbonne mit der Arbeit „Fotografie und bürgerliche Gesellschaft“ promoviert wurde. Schon während des Studiums hatte sie zu fotografieren begonnen, „aus Notwendigkeit“, wie es in ihren Memoiren heißt. Zu den ersten Aufnahmen gehörten Bilder einer Kundgebung zum 1. Mai in Frankfurt, der letzten vor der Machtübernahme der Nazis. Es folgten Bildessays über das Elend am Rand von Großstädten für Zeitschriften wie „Vu“, „Weekly Illustrated“, „Picture Post“ und „Life“. Doch noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatten auch die ersten Prominenten vor ihrer Kamera Platz genommen, und bereits 1939 richtete ihr die schon damals legendäre Buchhändlerin Adrienne Monnier, mit der sie in Paris eine Zeit lang zusammenlebte, die Ausstellung „Ecrivains célèbres“, „Berühmte Schriftsteller“, ein. „Reportagen, um Geld zu verdienen, und Porträts zu meinem eigenen Vergnügen“, hat Gisèle Freund unterschieden. Die Arbeit machte sie nicht reich, wiewohl sie zeitweise sogar Mitglied der legendären Fotografenagentur „Magnum“ gewesen ist; das Vergnügen hingegen weltbekannt. Wer sich heute die Konterfeis von James Joyce, Colette oder Virginia Woolf, von Frieda Kahlo oder Evita Perón ins Gedächtnis ruft, hat ihre frühen Bilder vor Augen.

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