Ankauf eines Selbstporträts : Zwischen Zweifel und Zutrauen
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Sah sie sich im Begleiter des einst gefeierten, dann gestürzten Feldherrn Belisar? Selbstporträt der Marie-Guillemine Benoist von 1786. Bild: Kunsthalle Karlsruhe
Was hat sie bloß so irritiert? Ein außergewöhnliches Selbstbildnis der frühklassizistischen Malerin Marie-Guillemine Benoist gehört nun der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.
Eine Frau in Weiß mit wallendem Blondhaar und entblößter Schulter sitzt neben einer Staffelei und malt an zwei Köpfen, einem jungen und einem alten. Mit dem unter der Brust gegürteten weißen Kleid trägt sie einen klassisch griechischen Chiton, während über ihrem Schoß ein goldener Überstoff mit ebenfalls antik-griechischem Palmettenfries lagert. Auch wenn es 1786, im Jahr der Entstehung dieses Bildes, in der klassizistischen Mode der Zeit derartige antikische Gewänder gab, wirkt die Inszenierung mit dem über der freien Schulter abwehenden Haar und der nachrutschenden Perlenkette am nackten rechten Arm - am linken winden sich die Perlschnüre mehrfach um den Unterarm - eher wie die einer Muse oder der antiken Personifikation der Malerei, Pictura. Eine Göttin allerdings mit gezupften Augenbrauen, deren Mund wohlinszeniert gerade nur so weit geöffnet ist, wie es sich noch ziemt.
Auf der Leinwand dagegen geht es ungöttlich zu: Obwohl die Malerin soeben dabei ist, ein Bild von Jacques-Louis David zu kopieren, auf dem der einstige Star-Feldherr Belisar sich nach der Hochverratsanklage von Kaiser Justinian verarmt und blind als weißhaariger Bettler in Rom auf einen jungen Begleiter stützt, ist die Ähnlichkeit des gemalten Lockenknaben mit der Malerin frappant. Das frontal gegebene Jungengesicht blickt mit weit aufgerissenen Augen und tiefer Stirnfalte furchtsam nach oben zu seiner Urheberin, was die hochgezogenen Augenbrauen unterstreichen. Dass mit ihm auch die reale Malerin gemeint sein könnte, zeigen die insgesamt acht Pinsel in ihren Händen, an deren Spitzen vom Wasserblau ihrer Augen über das Rosé ihrer Wangen sowie den Orangetönen ihres Teints bis zum Weiß des Gewandes alle Farben ihrer Erscheinung auf der Leinwand zu finden sind, wobei insbesondere der eher weibliche Mund und das Rot in den Augenwinkeln des Kindes dem in den ihren sehr ähnelt.
Warum ähnelt sie so sehr dem Begleiter des einstigen Star-Feldherren?
Indem jedoch über dem ängstlichen Knabenantlitz der stark angeschnittene Kopf des weißbärtigen Alten mit Stirnglatze und wirr abstehendem Haar ins Bild hineinschneidet, der sich in dieser Komposition mit gesenktem Haupt und blinden Augen über die pastosen Farbhäufchen auf der Palette beugt, was wie ein kritischer Blick erscheint, könnte es auch eine Ironisierung des kopierten Bildes darstellen: Schaut hier vielleicht der „Übervater“ David skeptisch auf das Werk seiner Schülerin? Und malen sich Künstler nicht immer ein Stück weit selbst auch in ihre historischen Gestalten hinein?
Die Schöpferin des extravaganten Bildes ist Marie-Guillemine Benoist, die anfangs bei der nur dreizehn Jahre älteren Élisabeth Vigée-Lebrun und just von 1786 an im Atelier des politisch geschmeidigen David, der drei Regimen dienen sollte, die Malerei erlernte. In dem Bild vereint und vollendet sie die Kunst ihrer beiden Lehrmeister. Nun gelang es der Kunsthalle Karlsruhe, das Selbstbildnis der damals erst Siebzehnjährigen aus New Yorker Kunsthandel zu erwerben. Ermöglicht hat das die Museumsstiftung Baden-Württemberg. Es ist ein Ankauf, der nicht nur stilistisch in die fächerförmig angelegte Barockidealstadt Karlsruhe passt, sondern die Sammlung auch kunsthistorisch um ein außergewöhnliches Werk bereichert.
Die auffällige Inszenierung ihrer selbst dürfte dem Einfluss ihrer Lehrerin geschuldet sein. Schon Élisabeth Vigée-Lebrun beschritt mit zahlreichen Bildnissen starker Frauen – wie den beiden der preußischen Lady Di, Königin Luise, im Charlottenburger Schloss und in der Burg Hohenzollern (1801 und 1802 entstanden) –, erst recht aber in ihren auffällig vielen Selbstbildnissen, so beispielsweise dem legendär selbstbewussten „Selbstporträt mit Strohhut und Malpalette“ in der Londoner National Gallery (kurz vor 1782), komplett neue Wege der Selbstpräsentation. Es sind Selfies des achtzehnten Jahrhunderts, die wie jenes mit dem Strohhut in freier Natur vor dräuendem Gewitterwolkenhimmel vorgeben, schnappschussartig einen kurzen Moment festzuhalten, in Wahrheit aber immens aufwendig inszeniert und brillant gemalt sind.