https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/andreas-gursky-ausstellung-im-frieder-burda-museum-baden-baden-13854847.html

Gursky-Ausstellung : Vier Kanzler sehen rot

Andreas Gursky ist mit seinen wohlkomponierten Bildern einer der wichtigsten Fotografen unserer Zeit. In Baden-Baden sind neben einigen Klassikern auch einige seiner neuen Werke zu sehen.

          2 Min.

          Das Werk von Andreas Gursky war in den vergangenen Jahren häufig zu sehen, in großen Ausstellungen in Düsseldorf, Tokio, in Dänemark und in Hannover, so dass man etliche der 34 Arbeiten schon kennt, die jetzt auch in Baden-Baden gezeigt werden, in einer Ausstellung, die das dortige Privatmuseum Frieder Burda von dem aus Berlin herbeibestellten Leiter der Nationalgalerie, Udo Kittelmann, kuratieren ließ.

          Niklas Maak
          Redakteur im Feuilleton.

          Neu im Gurskyschen Werk ist dagegen ein monumentales, rund fünf Meter breites Bild, das pünktlich zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: Es trägt den Titel „Rückblick“ und zeigt in Rückansicht die vier lebenden Kanzler der Bundesrepublik - Gerhard Schröder, Helmut Schmidt, Angela Merkel und Helmut Kohl. Sie betrachten ein Gemälde von Barnett Newman. Die Hinterköpfe verraten, um wen es sich handelt, Schmidt ist am pittoresken Rauchkringel eindeutig zu erkennen.

          Eine solche Begegnung ist denkbar, fand aber nicht statt, Gursky hat sie inklusive des ikonischen Schmidt-Qualms aufwendig am Computer montiert. Warum? Steht Newman für das Erhabene schlechthin und hier im Bild für die Größe politischer Aufgaben? Treten Merkel und ihre Vorgänger in Gurskys Phantasie als Benjaminsche Engel der Geschichte auf, rückwärtsschauend in die Zukunft rauschend? Oder sehen hier nur vier deutsche Kanzler angesichts der aktuellen Lage gleichzeitig rot?

          Formale Nähe zur Malerei

          Erste Interpreten sahen in dem Bild eine Hommage an die Stabilität der deutschen Demokratie. Handelte es sich um eine solche Form von visueller Jubiläumspropaganda, hätte Gursky die Kanzler aber auch gleich auf blühende Landschaften blicken lassen können oder wenigstens auf den Rhein, den er 1993 in einer elegischen, fast abstrakt wirkenden Großfotografie zeigte (die damals übrigens wegen ihrer formalen Strenge mit den Werken Newmans verglichen wurde).

          Es folgten in den neunziger Jahren jene Bilder, die Gursky zu einem der wichtigsten Fotografen seiner Zeit werden ließen - Fotografien, die die neuralgischen Orte der modernen Massengesellschaft in reduzierten, digital manipulierten Panoramen vor Augen führten: Supermärkte und Börsen, Wohnkomplexe und Sweatshops, Massentierhaltung und Müllhalden, Diskotheken - und das minutiös Komponierte, die formale Nähe zur Malerei, war immer offensichtlich. Die Fotografie nahm hier die Ausmaße eines Historiengemäldes an, und spätestens seitdem wird immer wieder geschrieben, dass Gursky für die demokratische Massengesellschaft das sei, was die Hof- und Schlachtenmaler der frühen Neuzeit waren: Chronisten, Propagandisten, bisweilen sanfte Kritiker.

          Bearbeitete Bilder

          Über die Jahre wurde Gurskys Kameraperspektive dann immer auktorialer, man schaute mit dem Erfolgsfotografen aus VIP-Lounges und aus dem All auf einen manipulierten Planeten. Die Bearbeitungen seiner Bilder wurden dabei immer offensichtlicher, viele Arbeiten bekamen etwas Dekorativ-Pittoreskes, so wie der Qualmkringel des Kanzlers vor dem ausgeborgten Leuchten des Newmanschen Rots.

          Ob Kritiker und Galeristen Gursky einen Gefallen mit der Rede vom „neuen Historienbild“ getan haben? Er scheint, wie das Kanzlerbild zeigt, die ihm zugedachte Rolle als amtlicher Historienbilderzeuger jedenfalls sehr ernst zu nehmen. In anderen seiner jetzt offen surrealistischen neueren Bilder irrt ein orientierungslos ermatteter Superman durch eine leere Welt - eine Allegorie des von Markterwartungen und dem ewigen „What’s next?“ getriebenen Künstlers? Was soll man sagen: Man wünschte sich, dass Gursky die digitale Hölle seiner aufwendigen Photoshopmaschinen verlassen und in der Außenwelt wieder mehr jene Entdeckungen machen möge, für die er zu Recht einmal so frenetisch gefeiert wurde.

          Weitere Themen

          Was Flucht heute heißt

          Uraufführung in Genf : Was Flucht heute heißt

          Christian Jost hat aus dem Film „Reise der Hoffnung“ von Xavier Koller eine neue Oper gemacht. Die Uraufführung von „Voyage vers l'Espoir“ in Genf erschüttert – weil sie auf Politisierung verzichtet.

          Topmeldungen

          Kölner Regelverstoß : Ein Verein am Pranger

          Laut FIFA hat der 1. FC Köln gegen Transferregeln verstoßen und darf vorerst keine neuen Spieler verpflichten. Der Klub spricht von einer „Farce“ – und bangt um seine Zukunft.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.