Alte Synagoge Erfurt : Eine Angelegenheit des Herzens und der Ausdauer
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Das Paar reagiert scheu aufeinander. Sie, rotblonde Locken, schaut, obwohl ihr Nähe wichtig scheint, ängstlich abwesend ins Nichts. Er, schwarzes Kraushaar, konzentriert sich darauf, ihr einen Ring anzustecken. Doch die eigentliche Irritation geht für den Beobachter weder davon aus noch von den wallenden Gewändern aus weinrotem, saphirblauem und moosgrünem Samt. Was im „Schatzkeller“ der Alten Synagoge zu Erfurt stutzen lässt, ist die Ausstrahlung der beiden lebensgroßen Figuren: Sie sind aus Wachs, wirken damit frappierend lebendig - und doch toter als tot. Auch im Zeitalter der Animationen und 3-D-Verfahren bewahrt der Effekt, mit dem schon 1835 Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett faszinierte, seinen zwiespältigen Reiz.
Zum Unruheherd aber wird dieser Tussaud-Effekt erst dadurch, dass das Paar Hauptstaffage einer Dokumentation über das Leben der Erfurter Juden im Mittelalter ist. Die wächsernen Liebenden illustrieren jüdische Hochzeitsbräuche und die Verwendung der Schmuckstücke des berühmten Erfurter Schatzfunds von 1998 - aber unterschwellig schrecken sie unser Gewissen auf. Denn noch ehe man die beiden als effektsichere, in die Zeit um 1340 versetzte Adaption der berühmten „Arnolfini-Hochzeit“ (1434) des Malers Jan van Eyck identifiziert hat, melden sich Unsicherheiten: Sind dem Wachsformer die Profile nicht zu scharf, sprich: „jüdisch“ geraten? Wie viele Hochzeiter der einstigen Jüdischen Gemeinde mögen derart kostbaren Schmuck getragen haben? Bestätigt oder weckt der blitzblanke Reichtum des Modellpaars nicht Vorurteile? Und was ist mit dem 1878 von einem geschäftstüchtigen christlichen Gastwirt eingebauten Tanzsaal im Obergeschoss, den man so sorgfältig konserviert hat wie die Synagoge? Man denkt unwillkürlich an Joshua Sobols umstrittenes Musical „Ghetto“ und das „Auf dem Friedhof spielt man kein Theater“, das darin todgeweihte Juden Leidensgenossen zurufen, die Revuen für die SS inszenieren, weil sie damit ihr Leben um einige Wochen verlängern.
Kostbare Liebesbezeugungen
Wer in Deutschland jüdische Stätten besucht, denkt immer den Holocaust und die Leiden der Diaspora mit. In Erfurt kam das erlösende Wort von Hedva Almog, der Bürgermeisterin der Partnerstadt Haifa. Ihre Eröffnungsrede gipfelte in dem „für Menschen jedes Glaubens und jeder Herkunft“ gültigen hebräischen Leitspruch „Leolam Lo Od“ (Nie wieder). Erfurt, so schloss sie, gebe mit seiner neuen Sehenswürdigkeit den einstigen jüdischen Bürgern der Stadt „ihre Ehre zurück“.
Diese postume Rehabilitation ist ein zentraler Bestandteil des Projekts, aber nicht der einzige. Denn die restaurierte Synagoge, der Schatz und das einzigartige Erfurter Konvolut mittelalterlicher hebräischer Handschriften, so erkennt man staunend, bezeugen nicht nur jüdisches Leben als integralen Bestandteil der mittelalterlichen Kultur Europas, sondern bilden einen Brennspiegel, der das Spätmittelalter überhaupt in ungewohntem Licht zeigt. Kronzeugen dessen sind die ungewöhnlichen Schmuckstücke. Was wir an gotischer Goldschmiedekunst kennen, entstammt meist Kirchenschätzen; Bischofsringe, christliche Amulette, Reliquiare. Die Erfurter Kostbarkeiten aber, obwohl auch sie teilweise in rituelle Zusammenhänge gehören, sind Privat- und Familienschmuck, dessen Botschaften keine Glaubensdoktrinen veranschaulichen, sondern Liebesbezeugungen, wie wir sie dieser ständischen, individuelle Regungen ignorierenden Epoche kaum zugetraut hätten.
Als der Halbmond noch aufs Judentum verwies