KI und Kunst : Fotos einer Welt, die es nie gab
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„Bodyguard“ aus der Serie „Life In West America“ von Roope Rainisto Bild: Roope Rainisto
Der finnische Künstler Roope Rainisto erkundet in computergenerierten Bildern die Ästhetik amerikanischer Alltagsfotografie – und die dunklen Geheimnisse, die unter der Oberfläche lauern.
Bei Bildern aus dem KI-Generator hat sich schnell eine neue Rezeptionshaltung entwickelt. Zumindest bei jenen Betrachtern, die schon einmal selbst mit Midjourney, Stable Diffusion oder Dall-E herumgespielt haben, regen Maschinenbilder die Neugier an, wie der ihnen zugrunde liegende Prompt lauten könnte, der Text, der bei der Erzeugung der Bilder eingegeben wird. Welcher Begriff war stilprägend, welche Kombination ausschlaggebend für die Ästhetik, welche Vorbilder genau versucht die KI zu reproduzieren? Und mit welchem Programm wurden sie generiert?
Im Fall der Serie „Life in West America“ des finnischen Künstlers Roope Rainisto könnte die Antwort in etwa so lauten: „Two women standing next to each other holding drinks, colorized photo by Ed Ruscha, 70ies, America, societal despair, detailed, Leica, 35mm“. Oder „A car sitting in the dirt, in the style of William Eggleston, american realism, 1970s, velvia“. Oder: „Man in an office full of copy machines, colorized photo by Robert Frank, featured on tumblr, lowbrow, Kodacolor“. Rainistos fotorealistische Bilder erinnern an die Aufnahmen von berühmten amerikanischen Fotografen aus den Siebzigerjahren, am ehesten vielleicht an die stilprägenden Alltagsaufnahmen von Stephen Shore: Neonschilder an menschenleeren Kreuzungen, Motels und Tankstellen, Parkplätze und Pools, Vorgärten, Schaufenster, Cars and Girls.
Wie von einem Virus zersetzt
Auf den ersten Blick wirken sie wie perfekte Imitationen, wie bisher unveröffentlichte Fotos, an denen man sofort die charakteristische Ikonographie erkennt: das Licht, die Körnung, die Gleichzeitigkeit von Glamour und Tristesse. Bis man, mal früher, mal später, die kleinen Fehler bemerkt, die mittlerweile wiederum als eindeutiges Merkmal aktueller KI-Bilder vertraut sind: dritte Arme und doppelte Köpfe, Schriftzüge aus Phantasiebuchstaben einer nicht existenten Sprache, in der Luft schwebende Objekte und andere physikalische Abnormitäten. Die Faszination, die von diesen Bildern ausgeht, hängt aber noch mit einer anderen Qualität zusammen, mit einem seltsamen Verdacht. Irgendwo in der neuartigen Weirdness, die sie umgibt, scheint sich ein dunkles Geheimnis offenbaren zu wollen, ein kollektives Unbewusstes, die Träume und die Traumata unter den trivialen Oberflächen. Es kommt einem so vor, als würde dem American Dream, den die Bilder repräsentieren, ein Virus innewohnen, der sie von innen zersetzt.

Rainisto, 43 Jahre alt, hat lange als Grafikdesigner gearbeitet, hat etwa Benutzeroberflächen für Smartphones entworfen, hat für Microsoft und Nokia gearbeitet, „wie fast jeder in Finnland zu einem bestimmten Zeitpunkt“, wie er sagt. 2016 war er Mitbegründer einer Firma für VR-Brillen, vor zwei Jahren kam die Midlifekrise. Und die Idee, die damals aufkommenden KI-Tools für künstlerische Zwecke auszuprobieren.
Ob Rainisto nun ein lange übersehenes Genie ist oder nur ein Mann, der zum richtigen Zeitpunkt genug Zeit für Experimente am Computer hatte, wird sich zeigen. Er ist nicht der Einzige, der diese Form der Bildgestaltung für sich entdeckt hat, ein Genre, das manche „Post-Photography“ nennen, andere „AI Art“. Für die Onlinegalerie Fellowship hat er gerade eine Ausstellung von zehn Künstlern kuratiert, die wie er selbst die unendlichen kreativen Möglichkeiten der Bildgeneratoren erforschen. Rainisto ist es am liebsten, sich einfach als Künstler zu bezeichnen – was für viele seiner traditionell arbeitenden Kollegen womöglich die größte Provokation ist. Für manche sind künstliche Bilderfluten, wie sie der Finne produziert, gerade keine Kunst; sondern deren Ende.
Die Macken werden abtrainiert
In jedem Fall muss man Rainistos Arbeit eine gewisse historische Qualität zugestehen. Was seine KI-Fotos so interessant macht, ist, dass sie für einen ganz besonderen Moment eine sehr angemessene Bildsprache gefunden haben. „Life In West America“ bezeichnet er als „Zeitkapsel-Kollektion“, die eine flüchtige Phase in der Entwicklung solcher generativen Modelle festhält; einen Augenblick, in dem sie noch nicht perfekt genug funktionieren, um ihre Mechanik vollständig zu verbergen, und in dem – gerade noch – ein paar Glitches, ein paar Risse im System, auf bisher unentdeckte Konstruktionsprinzipien hindeuten.