
Kühnerts Utopie : Sozialismus als Phrase
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Das Irgendwie heißt Utopie: der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert Bild: dpa
Nach Dobrindts „konservativer Revolution“ haben wir es jetzt mit Kühnerts Vergesellschaftungsphantasie zu tun. Solche hingeworfenen Vorschläge leben auf Kosten unbeantwortet bleibender Sachfragen.
Es ist nicht lange her, da fand ein CSU-Politiker, in Deutschland sei jetzt eine „konservative Revolution der Bürger“ fällig, und zwar eine gegen die seit 1968 herrschende „linke Revolution der Eliten“. In einem Land, das in den betreffenden 51 Jahren etwa 34 Jahre lang maßgeblich von der Union regiert worden ist, musste man das als Appell an die eigenen Leute verstehen. Als aber die meisten nur den Kopf schüttelten, packte Alexander Dobrindt die ihm aufgeschriebenen Sprüche gleich wieder ein. Die konservative Revolution war nur eine Überschrift ohne Text.
Tatsächlich wäre nicht erkennbar, inwiefern die Ablehnung eines Tempolimits und der CO2-Steuer, ein Plädoyer für digitalisierte Schulen und für zügige Abschiebungen schon Anspruch auf ein konservatives Programm erheben könnten. Und was die Revolution angeht, so wurde Dobrindt schnell darüber informiert, dass die Überschrift einst vom Sekretär Ernst Jüngers für Leute aus der Abenddämmerung der Weimarer Republik ersonnen ward, gegen die der rechte Rand der AfD pfadfinderhaft wirkt.
Der Ausflug ins Antiquariat erbrachte also nicht viel mehr als ein paar Sendeminuten und Schimpfwellen auf Twitter. Ob man das auch von den Redensarten Kevin Kühnerts (SPD) sagen kann, über die gerade Aufregung herrscht? Dobrindts Konservatismus ist Kühnerts Sozialismus: eine Phrase ohne jede analytische Grundlage. Aufgefordert, das Gesellschaftsmodell zu beschreiben, das ihm vorschwebt, setzt Kühnert den Sozialismus mit Demokratie gleich: „Was unser Leben bestimmt, soll in der Hand der Gesellschaft sein und demokratisch von ihr bestimmt werden.“
Unsinnige Entscheidung
Nun kann die Gesellschaft selbst gar nicht handeln, Kühnert meint den Staat. Doch wenn er die „Demokratisierung aller Lebensbereiche“ fordert, stellt er sich dann auch Geschworenenjustiz, Abstimmungen über das Vaterunser oder über die Programme der Staatstheater vor? Wie beurteilt er den Zusammenhang von Demo- und Bürokratie? Doch was soll dann mit der Demokratisierung von allem gemeint sein? Also gut, er meint nicht von allem, nur vom Wichtigsten. Was für ihn die Wirtschaft ist. Deren existierende Verflochtenheit mit dem Staat lässt er beiseite. Es brauchte keinen Sozialismus, um die Waffenproduktion zu limitieren. Exportverbote würden genügen. Für sie brauchte er nur eine Mehrheit, keine andere Ordnung. Auch wenn er fordert, die Verteilung der Profite müsse demokratisch kontrolliert werden, möchte man ihm zurufen: Wir nennen es nicht Sozialismus, sondern Besteuerung. Und wenn er Kollektivierung für eine Vorstufe der Überwindung des Kapitalismus hält, fragt man sich, wie er sich denn die Erwirtschaftung der Profite vorstellt, die ihrer Verteilung logisch vorhergeht?
Die Verstaatlichung von BMW war Kühnert durchaus nicht von Journalisten eingeflüstert worden. Er brachte sie selbst ins Spiel. Wer dieses Projekt abenteuerlich findet, beweist nicht Phantasielosigkeit, sondern fragt sich womöglich nur in Kenntnis der Wirtschaftsgeschichte, wie sich der Sozialist die Sache konkret vorstellt. Man mag an die französischen Verstaatlichungen unter Mitterrand denken, die in Kapitalflucht mündeten und von denen sich das Land bis heute nicht erholt hat. Oder an die Verstaatlichung des maroden Autobauers British Leyland, die mit der Zerschlagung des Konzerns endete. Dass es umgekehrt auch viele Privatisierungen gegeben hat, die dramatisch scheiterten, beweist nur, wie unsinnig es ist, solche Entscheidungen aus einem Gesellschaftsmodell, sei es ein sozialistisches oder ein neoliberales, hervorgehen zu lassen.
Die Skepsis der Facharbeiter und etwaiger Kreditgeber gegenüber einer demokratischen Investitionsrechnung, ist insofern nachvollziehbar. Die Beschäftigten von BMW sehen vermutlich nicht im „Kapital“ ihr Problem, sondern in der Konkurrenz einerseits, in Handelskriegen andererseits und in der Umweltpolitik, was diese freilich diesseits eines Sozialismus, in dem Politik und Wirtschaft zu verschmelzen hätten, nicht irritieren müsste. Glaubt Kühnert ernsthaft, an der Trennung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln ändere sich etwas, wenn sie statt von einem Komplex aus Aktionären, Vorständen und Fabrikanten von einem sozialdemokratisch einbestellten Management ihre Instruktionen erhielten? Oder stellt er sich ein Schrumpfen aller Betriebsgrößen und Marktverflechtungen auf das rousseauistisch Vorbildliche einer Gemeindedemokratie und -ökonomie vor?
Nein, er stellt sich eben, wie Dobrindt auch, im Grunde gar nichts Konkretes vor, sondern nur eine Welt ohne Restriktionen, in der irgendwie alle seine Werte verwirklicht werden, und nennt dieses Irgendwie dann Utopie. Solche Utopien – seien es nun konservative, neoliberale oder sozialistische – leben auf Kosten unbeantwortet bleibender Sachfragen und eines Verzichts auf das Studium dessen, was man revolutionieren möchte. Wer die Konstruktion einer ganzen Gesellschaft für etwas Ähnliches hält wie die Erfindung einer neuen Maschine, von der man aber die Baupläne nicht herzeigen mag, die man gar nicht hat, führt das Publikum an der Nase herum. Nur sein Alter schützt Kühnert davor, als Beppe Grillo der Sozialdemokratie bezeichnet zu werden.