Kruzifix-Urteil : Italien über Kreuz
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Bayern und Italiener eint der Hang zum Schul-Kruzifix. Sie wollen es trotz Gerichtsentscheides nicht abhängen. Die bittere Klage Kardinal Bertones, der mutmaßte, dem heutigen Europa blieben an Symbolen nur die Halloween-Kürbisse, wird wohl nicht das letzte Wort in der Angelegenheit sein.
Das Kreuz mit dem Kreuz haben Italien und Bayern jetzt gemeinsam. Nachdem die Bayern ein Sondergesetz benötigt haben, um die obligatorischen Kruzifixe in ihren Klassenzimmern vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe zu retten, muss die religionsneutrale Repubblica Italiana nun vor die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ziehen.
Dessen zunächst zuständige Kammer hat nämlich einstimmig entschieden, die christlichen Kreuze in Italiens Schulen seien nicht mit der gebotenen Unparteilichkeit des Staates zu vereinbaren. Die klagende Mutter Soile Lautsi, eine Italienerin finnischer Abkunft, soll, nachdem sie in allen Instanzen Italiens abgewiesen wurde, mit fünftausend Euro entschädigt werden.
Dass nun gleich alle Kreuze abgehängt und für eine fundamentalistische Zukunft eingemottet werden, dafür spricht einstweilen nichts. Im Gegenteil – nach den bitteren Klagen Kardinal Bertones („An Symbolen bleiben dem heutigen Europa nur die Halloween-Kürbisse“) wird das verfemte Gehölz regelrecht modisch. Bürgermeister in Sassuolo und Ardea beschenken die örtlichen Schuldirektoren mit Kruzifixen dutzendweise. Im frommen Montegrotto Terme im Veneto prangen bereits Leuchtschriften „Noi non lo togliamo“ (Wir nehmen’s nicht ab).
Trügerischer Religionsfriede
Fürs nationale Selbstbewusstsein, das nach dem Urteil auch fromm katholische Politiker der Linken untermauerten, indem sie Kruzifixe vorzeigten, sind solche Solidaritätsaktionen Balsam. Das Kreuz, so hatte gegen Signora Lautsi noch der Verfassungsgerichtshof in Rom entschieden, symbolisiere nämlich gar kein Christentum, sondern stehe quasi überkonfessionell für Tradition und Eigenheit der italienischen Nation.
Und genau das, nämlich den zutiefst prägenden Einfluss des Vatikans auf die italienische Gesellschaft – von der Abtreibung bis zur Sterbehilfe, vom Religionsunterricht bis zu den Altersheimen –, betonen Politiker und Kardinäle ohnehin andauernd. Mit anderen Worten: Wer nach Italien kommt, soll bei der Trennung von Staat und Kirche bloß keine laizistischen Wunderdinge erwarten.
Doch nun wird man in ganz Europa hellhörig. Was ist mit christlichen Symbolen in Polens Schulen? Was mit Kruzifixen in Österreichs Lehranstalten und Gerichten? In Bayern hat man die Beweislast per Gesetz umgekehrt und den Kelch damit an sich vorübergehen lassen: Das Kreuz wird erst abgehängt, wenn sich ein Schüler nachweislich in seinen Grundrechten belästigt fühlt. Seither herrscht, wenn auch trügerischer, Religionsfriede im Freistaat. Vielleicht sollten die römischen Juristen bei den Münchner Staatsrechtlern einmal eine Nachhilfestunde in Religion nehmen.