Kontrolle im Netz : Ist das Internet nicht doch eine Falle?
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Chinesische Knetfigur von Hillary Clinton Bild: REUTERS
Als Anwalt des freien Netzes hat Amerika erheblichen Schaden genommen, aber die Universalität seiner Werte tritt in China jetzt deutlicher hervor denn je.
In China ist Edward Snowden nicht nur bei denen ein Held, die sich freuen, dass Amerika eins ausgewischt wird. Für viele ist er vielmehr ein Vorbild in ihrem Kampf für ein transparentes Internet im eigenen Land. Der Blogger Michael Anti, einer der profiliertesten Gegner der chinesischen Zensur, schrieb jetzt, eine „neue Art Demokratie“ sei durch die Affäre leider sichtbar geworden; doch dank Menschen wie Snowden könnten die Regierungen in ihrer Datensammelwut nun „wieder von ihren Bürgern kontrolliert werden“.

Feuilletonkorrespondent in Berlin.
Im Westen und auch bei manchen geopolitischen Strategen in China herrscht die Meinung vor, Peking und ähnliche Regime profitierten von den Enthüllungen über die Bespitzelungsprogramme. Doch das dürfte allenfalls kurzfristig zutreffen. Auf mittlere Sicht wird sich die Polemik autoritärer Staaten gegen die Überwachungspraxis des Westens in Selbstwidersprüche verwickeln, die sich vor ihren Gesellschaften nicht verbergen lassen. Vor allem aber wächst die Glaubwürdigkeit jener liberalen Regierungskritiker, die sich bisher von Nationalisten immer wieder als Handlanger des Westens beschimpfen lassen mussten. Jetzt aber zögern einige der Prominentesten unter ihnen nicht, den Westen gerade um seiner Werte willen hart anzugehen.
Amerikas Überwachungspraxis
„Wir leben bereits in einer neuen Welt“, hat Michael Anti in seiner Amerika-Kritik geschrieben. Der Künstler Ai Weiwei bezeichnete den Schutz der Privatsphäre als elementares Menschenrecht und zeigte sich nun gerade deshalb besorgt, weil Amerika eine führende Rolle bei der Aufstellung von Normen für das Internet spiele: „Wir dürfen unsere Rechte nicht anderen Leuten überantworten. Keiner Staatsmacht sollte diese Art Vertrauen entgegengebracht werden. Nicht China. Nicht den Vereinigten Staaten.“
Kai-Fu Lee, der ehemalige Chef von Google China, der auf dem chinesischen Kurzmitteilungsdienst Weibo 44 Millionen Follower hat, verglich Amerikas Überwachungspraxis mit der des korrupten chinesischen Königs Li im neunten vorchristlichen Jahrhundert, der sein Volk durch Spitzel kontrollierte. Lees Resümee zeichnet, wie die Wortmeldungen der anderen Dissidenten, aus, dass es in der chinesischen Öffentlichkeit nicht nur auf Washington, sondern natürlich auch auf Peking bezogen werden kann: „Wir müssen dringend Grenzen ziehen, um unsere Regierenden zur Rechenschaft zu ziehen.“
Beunruhigender Perspektivwechsel
Das Ausmaß des Perspektivwechsels solcher Äußerungen wird so recht erst deutlich, wenn man sie vor dem Hintergrund der Rede liest, die die damalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton vor gut drei Jahren über die weltweite Internetfreiheit gehalten hat - neun Tage nachdem Google nach einer Attacke auf seine Netzwerke seinen Rückzug aus China angekündigt hatte. Viele Zensurkritiker in China hatten damals ihre Solidarität mit Google erklärt und Blumen am Pekinger Sitz des Unternehmens niedergelegt. Clinton betonte in ihrer Grundsatzrede, Cyberattacken verdienten „internationale Ächtung“: „In einer durch das Internet verbundenen Welt kann ein Angriff auf das Netzwerk einer Nation ein Angriff auf alle sein.“ Die Bürger müssten das Vertrauen haben, dass „die Netze im Innersten ihrer nationalen Sicherheit und wirtschaftlichen Wohlfahrt sicher sind“.