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Kongress „Bibliothek und Information“ : Datengeschenke sind Danaergeschenke

  • -Aktualisiert am

Es mehren sich die Zeichen, dass die neoliberale Bibliotheksepoche an ihr Ende kommt. Bild: Bode, Henning

Das neoliberale Zeitalter der Bibliotheken muss ein Ende haben. Bisher ersetzen undurchsichtige Algorithmen allzu häufig die menschliche Vernunft: Ein Plädoyer zum Auftakt des Kongresses „Bibliothek und Information“.

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          Das neoliberale Zeitalter begann in den Bibliotheken im Jahre 1994 mit dem Auftritt der „Dublin Core Metadata Initiative“. Die DCMI wurde von der Vorstellung umgetrieben, im Zeitalter des Internets könne man die aufwendige Katalogisierung der Bibliotheken dadurch loswerden, dass die Autoren von Texten anhand eines einfachen Sets von Regeln und Kategorien die zu ihren Texten gehörenden Metadaten - sprich: Katalogisate - selbst erstellen. Man wollte also anstelle eines hoheitlichen Kataloghandelns, kodifiziert in voluminösen Regelwerken und kulturpolitisch legitimiert durch staatliche Erlasse und Vereinbarungen, ein dereguliertes Metadaten-Do-it-yourself für jedermann, begleitet von der staatsfern-international agierenden DCMI-“Community“. Das brach den Damm für eine Konzeption von Bibliothek, die ohne regelsetzende staatliche Instanzen auskommt, Kultur als Begleiterscheinung von Marktprozessen betrachtet und beides - den Verzicht auf den Staat und das Hören auf die Märkte - im Internet für realisierbar hält.

          Auf der Linie dieses neoliberalen Bibliotheksverständnisses liegt, dass die Bibliotheken im neuen Jahrtausend damit begannen, ihre Katalogisate mit den von Amazon gelieferten bunten Umschlagbildern zu verlinken. Denn in Amazon hatte man einen nichtstaatlichen Marktteilnehmer gefunden, der einen kostenlosen „Service“ bot (die Umschlagbildchen), mit dessen Hilfe man den Katalog „anreichern“ und die kulturelle Dimension des Alphabets um die kulturelle Dimension des Bildes erweitern konnte. Dass man, um dies zu tun, die Grenze zwischen staatlicher Einrichtung und kommerziellem Unternehmen nicht nur verwischte, sondern im Grunde als heimlicher Kommerzbeschleuniger des bilderliefernden Unternehmens auftrat, um durch die unscheinbar-praktischen Links dem Unternehmen die Kunden zuzuführen - das ignorierte man großzügig und fühlte sich wohl gar durch die bei diesem Deal hereinkommenden Einnahmen im, wie es heißt, „niedrigen vierstelligen Bereich“ digital geadelt.

          Opake Algorithmen

          Auf der Linie des neoliberalen Bibliotheksverständnisses liegt aber auch, dass die Bibliotheken - ebenfalls zu Beginn des neuen Jahrtausends - damit begannen, ihre Kataloge mit kommerziellen „Discovery“-Diensten aufzumotzen. Diese Dienste kommen auf den Homepages der Bibliotheken nach dem Vorbild von Google als einfacher Suchschlitz daher, hinter dem sich alles finden können soll, was eine Bibliothek an Büchern und Zeitschriftenaufsätzen zu bieten hat, sofern es denn elektronisch nachgewiesen ist. Und natürlich wird dabei auch gleich auf die Volltexte verlinkt und außerdem auf das, was es im Internet an bibliotheksrelevanten freien Quellen so gibt.

          Viele finden das schön und gut. Unschön und ungut daran ist freilich, dass diese „Discovery“-Services, heißen sie nun „Primo“ oder „Summon“, nicht nur mit Algorithmen arbeiten, deren Funktionsweise ein Firmengeheimnis ist, sondern auch reklamieren, sie könnten das angezeigte Material dank dieser Algorithmen angemessen „ranken“. Das aber heißt, dass sich die neoliberalen Bibliothekare jetzt nicht nur die Katalogarbeit von kommerziellen Firmen abnehmen lassen, sondern diese Firmen den Bibliotheken und ihren Benutzern auch ihre eigenen algorithmisch erzeugten Ordnungskriterien überstülpen. Vorbei die Zeiten, da die Bibliotheken als staatliche Einrichtungen einer Vernunft zu folgen versuchten, die sich diskursiv ausweisen muss und im Katalog als einfache alphabetische oder sachlich geordnete Liste dargestellt werden kann. Im neoliberalen Zeitalter tritt an die Stelle dieser Vernunft der opake Algorithmus eines Privatunternehmens, das erfolgreich sein kann, ohne sich noch vernünftig legitimieren zu müssen.

          Kampfplatz für Monopolbildungen

          Auf der Linie des neoliberalen Bibliotheksverständnisses liegt zuletzt, dass die Bibliotheken damit begonnen haben, ihre Katalogisate unter Creative-Commons-Lizenzen freizugeben. Das geschieht mit der schönen Begründung, dass man den Herstellern von „Resource Discovery Services“ den Zugriff auf die Katalogisate ohne urheberrechtliche Quisquilien und natürlich auch kostenlos ermöglichen will. Mit anderen Worten: Die öffentliche Hand zahlt das Bibliothekspersonal und die Bibliotheksinfrastruktur für die Erstellung der Katalogisate, die von den Bibliotheken sodann verschenkt werden, um die mit den verschenkten Daten erstellten und optimierten Katalogdatenbanken kommerzieller Unternehmen sodann wieder einzukaufen (“im unteren fünfstelligen Bereich“ pro Jahr und Bibliothek). Das ist nichts anderes als der bekannte neoliberale Kreislauf des Geldes, bei dem die Kosten für Güter sozialisiert werden, die Gewinne aber privatisiert.

          Es mehren sich aber die Zeichen, dass die neoliberale Bibliotheksepoche an ihr Ende kommt. In demselben Maße, wie das Internet seinen Nimbus als libertär-hedonistischer Freiraum verliert, um sich als Kampfplatz für Monopolbildungen zu enthüllen, wird man in den Bibliotheken wieder ein Bewusstsein dafür schaffen müssen und können, dass bibliothekarisches Handeln auf ein gemeinschaftliches Gut hinorientiert ist, das sich nur akzidentell mit dem Markt berührt, in seiner Substanz aber der Kultur zugehört.

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