Kommentar : Nervenkostüm
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Wie geht es Karl Kraus, sammelt noch jemand "Dummdeutsch", wo blüht die Phrase? Im offen Kommerziellen und im heimlich Spirituellen natürlich, wie immer, seit die Welt modern wurde. Wenn also das "Cambridge Institute" für seine Englischkurse ...
Wie geht es Karl Kraus, sammelt noch jemand "Dummdeutsch", wo blüht die Phrase? Im offen Kommerziellen und im heimlich Spirituellen natürlich, wie immer, seit die Welt modern wurde. Wenn also das "Cambridge Institute" für seine Englischkurse neuerdings in Anzeigen mit dem Spruch "Büffeln für die Weltsprache ist passé" wirbt, müßte es zwar statt "passé" eigentlich "past" oder "present perfect" heißen, aber ist doch eh egal, was für ein linguistisches Durcheinander ausgerechnet eine Sprachenfirma anzettelt. Und wenn in der Mai-Nummer des verschlafenen Freiburger Gratis-Blättchens "Kulturjoker" der jüngste Abt des Klosters Einsiedeln in der Schweiz, Martin Werlen, der ansonsten, wie die Leser staunend erfahren, mit Jugendlichen im Internet chattet, auf einem Scooter über den Klosterhof kurvt, Biker-Gottesdienste und "Clinch-Wallfahrten" veranstaltet, mannhaft ankündigt, er wolle "neue Denkstrukturen aufbrechen", dann wird einem zwar kurz ein bißchen schwindlig ums Gewissen - waren es nicht die alten, die man aufbrechen muß, und was kommt wohl raus, wenn die neuen erst so richtig zerdeppert sind? -, aber es ist eben auch alles bei seiner Ordnung: Solche braven Leute reden halt so wüst daher. Ärgerlich aber wird es, wenn sich plötzlich alle darauf einigen, eine ursprünglich aus der Punkrocker-, Terrorsympathisanten- und höheren Nörgelkultur stammende, daher durchaus mal aufrecht dissidente und negative Phrase als die neue Edel- und Wichtigtuer-Wendung auf den besinnungslos vor sich hin kläffenden Zeitgeisthund zu bringen - nämlich die Erkenntnis, oft inzwischen sogar nur die bloße Behauptung, daß dies, jenes oder etwas ganz anderes "nerve". Filmkritiker, Lyrikanthologen, Fußballreporter und Morgenfernsehmoderatoren machen sich damit wichtig, die letzten Trantüten weit jenseits der Fünfzig spielen sich in fehlgeleiteter Jugendsehnsucht damit auf, daß irgendein im wahrsten Sinne des Wortes peripheres Nervensystem auf irgend etwas mit irgendwelchen Zuckungen reagiert. Die neuen Genervten, das ist das schlimmste dran, glauben sich, wenn sie nur ihre kleine Parole richtig aufsagen können, offenbar vom Urteilen, vor allem: von der Offenlegung etwaiger Maßstäbe unmittelbar dispensiert, schmarotzen unbefugt an der durch Aushalten zahlreicher Unwägbarkeiten erworbenen Würde des arbeitslosen Alkoholikers mit gefärbten Haaren und - nein, nerven eben nicht. Sondern sind, einen älteren Begriff hier vorsorglich wieder in seine Rechte einzusetzen, vor allem: lästig.
dda.