Körperrodung : Alle Haare wieder
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Da sprießt kein Haar: Der Herkules Farnese (Reproduktion aus dem 16. Jahrhundert) Bild: Archiv
Weder Charlotte Roche noch Alice Schwarzer haben es ändern können: Der menschliche Körper wird rasiert und gerodet wie nie. Aber vielleicht geht es auch gar nicht um Sex - sondern um Ewigkeit: Das Epiliergerät soll Kunstwerke aus uns machen, und zwar solche von klassizistischer Glätte!
Körperrasuren haben wenig mit Geschlechterrollen zu tun – umso mehr jedoch mit der Erotik des Konsums und dem Traum vom Ende der Geschichte.
Geraume Zeit spross das menschliche Haar unaufgeregt vor sich hin. Ab und an störten emsige Friseure mit Lockenwicklern und Heißdampf seinen Frieden, Wucherungen an Beinen und Achseln wurden in ihre Schranken verwiesen, doch insbesondere in den mittleren Körperregionen genoss das Haar zumindest hierzulande eine fast klösterliche Ruhe. Man sprach über Kriege, Ölkrisen oder das Robbensterben, unser Körperhaar war eher selten Gegenstand einer öffentlichen Debatte oder der Literatur. Seit einigen Jahren ist das anders. Das menschliche Restfell wurde mit scharfer Klinge aus seinem Dornröschenschlaf geschreckt und steht nun im grellen Licht des Interesses. Kaum ein Medium zwischen Boulevard und Hochkultur, das nicht über Laserbehandlungen, Schamhaardesign, Brasilian Wax oder David Beckhams epilierte Hühnerbrust berichtet.
Die Entdeckung des Nacktmulls
Charlotte Roches Erfolgsroman „Feuchtgebiete“ stellte den vorläufigen Gipfel dieser Entwicklung dar und trug wesentlich dazu bei, die Diskussion über Rodung oder Aufforstung der westlichen Haarbestände unter feministischen Gesichtspunkten zu führen. Körperrasuren, so der Tenor der Rochianer, beleben das schwüle Altmännerideal der Lolita wieder. Dagegen führte Roche das Bekenntnis zum Körperhaar ins Feld. Das erscheint zunächst plausibel – und ist doch nicht auf der Höhe der Zeit. Die Rodung der abendländischen Körper ist längst kein Gender-Phänomen mehr. Vielmehr tritt die körperliche Ästhetisierung derzeit in ihre nachgeschlechtliche Phase ein.
Man lasse im Freibad unauffällig das Auge schweifen, schaue sich in der Sauna um oder werfe einen verstohlenen Blick in ein Erotikmagazin. Unweigerlich wird man feststellen: Auch und gerade die Männer haben den Nacktmull in und an sich entdeckt. So präsentierten bei den Olympischen Sommerspielen in Beijing die männlichen Athleten nicht nur sportliche, sondern auch rasurtechnische Höchstleistungen. Vom 10-Meter-Turm aus glitten schmirgelglatte Brustkörbe ins Wasser, nur selten rauschte das Achselhaar beim Anlauf des Speerwerfers. Heute ist es mitnichten dem weiblichen Geschlecht vorbehalten, wie die Lysistrate in Aristophanes’ gleichnamiger Komödie für libidinöse Erregung zu sorgen: „Wir sitzen hübsch geputzt daheim, wir gehn im Florkleid von Amorgos, halbentblößt, mit glattgerupftem Schoß vorbei an ihnen.“ In der Postmoderne hat sich die Bikinizone ausgedehnt und auch die Enklaven der Männlichkeit erfasst. Eine Umfrage der Universität Leipzig vom November 2008 ergab, dass bereits 79 Prozent der jungen männlichen Studenten regelmäßig mindestens eine Körperregion enthaaren, bevorzugt die Achselhöhlen, den Genitalbereich und die Brust.
Der Firnis der alten Meister
Wenn also Alice Schwarzer beklagt, dass sich Frauen „untenrum“ rasierten „wie eine Professionelle“, so übersieht sie, dass auch metrosexuelle Eroberer ihr Gemächt entstruppen wie einst Thorvaldsen seine klassizistischen Statuen; dass selbst der martialische Eisenhans im Fitnesscenter beim Bankdrücken jugendlich-blanke Achselhöhlen entblößt. Das piliphile Lob wild wuchernder Schönheit erreicht uns nurmehr aus der literarischen Vergangenheit, etwa aus dem Munde Baudelaires: „Und unter einem glatten sametweichen Bauch / Wie eines Bonzen Haut so braun / Ist ein so reiches Vlies – das muss die Schwester sein / Von dieser Haare Pracht.“