Schlankheitswahn : „Wir haben verlernt, normale Körper schön zu finden“
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Ist das Ideal der neue Standard? Bild: Reuters
Der Bauch soll trainiert, die Brust üppig sein: Die Zürcher Medizinerin Dagmar Pauli spricht im Interview über die Folgen optimierter Körperbilder und den Einfluss der Mütter auf das Selbstempfinden.
Frau Pauli, am Zürcher Hauptbahnhof hing vor einiger Zeit ein gigantisches Plakat, über das Sie sich sehr geärgert haben. Was zeigte dieses Plakat?
Eine sehr junge, hübsche, selbstbewusste Frau, die entschieden hatte, sich die Brüste operieren zu lassen. „Meine Dinger, mein Ding“ lautete ihre Botschaft. Was mich ärgert, ist, dass hier versucht wird, die Brustoperation aus rein ästhetischen Gründen als etwas völlig Normales darzustellen. Als würde man für ein x-beliebiges Produkt werben.
Die Wortwahl spricht Bände: „meine Dinger“.
Diese Verdinglichung ist erschreckend und alarmierend. Suggeriert wird: Ich kann meinen Körper machen. Der Körper wird zu einer gestaltbaren Oberfläche. Das bedeutet, wer fett ist und unattraktiv, der trägt selbst die Schuld, weil er seinen Körper nicht durch Diäten, Sport und Schönheitsoperationen optimiert und dem gängigen Schönheitsideal angepasst hat.
Wen spricht diese Werbung an?
Sie spricht gezielt Mädchen und Frauen an, die ohnehin Selbstzweifel haben. Als auf Essstörungen spezialisierte Therapeutin behandele ich junge Menschen, meistens Mädchen, aber immer wieder auch Jungs, die ihren Körper ablehnen. Beim Blick auf das Plakat am Zürcher Hauptbahnhof sah ich gleichzeitig all die jungen, an sich zweifelnden Frauen vor mir, die dieses Plakat ebenfalls sehen und sich vornehmen, Geld für eine Operation zu sparen. Sie hoffen, so ihre Selbstablehnung überwinden zu können. Die allgegenwärtige Bilderflut perfekter, mit Photoshop bearbeiteter Körper erzeugt eine zunehmende Verunsicherung und einen Zwang zur Selbstbespiegelung und Selbstdarstellung.
Lässt sich diese Verunsicherung, was den eigenen Körper betrifft, durch Zahlen belegen?
Die Zahl junger Menschen, die mit ihrem Körper unzufrieden sind, steigt, das belegen die neuesten Studien. Die Betroffenen werden zudem immer jünger. Bereits Zehn- bis Zwölfjährige zu Beginn der Pubertät sind mit ihrem Körper häufig sehr unzufrieden. Das Körperfett nimmt vor allem beim weiblichen Geschlecht in dieser Phase zu, was ganz normal ist, aber als unnormal empfunden wird. Junge Frauen wünschen sich schmale Oberschenkel, die sich möglichst nicht berühren sollen, und so wenig Hüfte wie möglich. Der Bauch soll flach und trainiert sein, die Brust üppig. Das sind für ausgereifte Frauen unrealistische Körpermerkmale. Von magersüchtigen Mädchen höre ich oft, sie würden ja selbst sehen, dass sie oben zu dünn seien, aber die Oberschenkel und der Bauch wären eben fett.
Die Fixierung auf den Makel verstärkt diesen in der eigenen Wahrnehmung zusätzlich.
Wahrnehmungspsychologisch weiß man, dass Menschen, die besonders intensiv auf ein Detail ihres Körpers schauen, dieses Detail als immer monströser empfinden. Der Blick von Jugendlichen mit Selbstzweifeln richtet sich nicht aufs Ganze, er ist rein defizitorientiert und fixiert auf die „Problemzonen“, die dadurch immer negativer erscheinen. Früher, als es noch keine Selfies und Selbstdarstellungsplattformen wie Instagram gab, vergaß man für viele Stunden des Tages sein äußeres Erscheinungsbild. Durch die Selfie- und Instagram-Kultur aber steht das eigene Aussehen permanent im Vordergrund. Das Körpergefühl einer ganzen Generation wird dadurch negativ beeinflusst.