Kissinger Sommer : Illusionslos, aber liebevoll
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Eindringliche Liedkunst zur Ukraine-Katastophe
Auch „The Earth Cried Out to the Sky. Zwei Lieder nach ukrainischen Gedichten“ von Charlotte Bray mögen zwar auf die aktuelle politische Lage reagieren, bleiben aber Kunstwerke, weil sie das Schreckliche der zerstörten Wohnhäuser und der verschwundenen Kinder von Mariupol auf eine ebenso zugängliche wie poetische, überhaupt nicht plakative Weise fassen. Weder auf Schwermut noch auf Betroffenheit sind die „Drei Lieder nach Gedichten von Felix Reinhuber“ aus, die Márton Illés zur Liederwerkstatt mitbrachte. Sie legen es auf Pointierung und Verblüffung an, auf den schnellen Wechsel von Sprechen und Singen – den Sarah Maria Sun, begleitet von Jan Philip Schulze am Klavier, mit virtuoser Komödiantik meistert. Die assoziationsreiche, irrwitzig Sinn schaffende Sprache Reinhubers bringt Illés zum Tanzen.
Dagegen ist die Motorik in den „Fünf Liedern mit Texten von František Halas“, nachgedichtet von Franz Fühmann, oft maschinenhaft, im Klang des präparierten Klaviers dumpf und hohl. Der Komponist Steffen Schleiermacher bringt sie am Klavier gemeinsam mit dem Bariton Dietrich Henschel zur Uraufführung: ein vom Entsetzen gedehntes, von Flüstern durchschossenes Singen zu albtraumhaft leeren, zerklüftet-starren Klavierklängen – illusionslos, aber ohne Larmoyanz.
Man könne die Auseinandersetzung mit unserer verstörenden Wirklichkeit nicht nur der Literatur und der Bildenden Kunst überlassen. Sie müsse sich auch in der Musik Gehör verschaffen, sagt Anton Schick, Bauunternehmer aus Bad Kissingen, dessen Anton-und-Katharina-Schick-Stiftung die Liederwerkstatt seit Jahren unterstützt und die Kompositionsaufträge finanziert. So bleibt sie weiterhin die erste Adresse in Deutschland für die Auseinandersetzung mit dem Lied ohne Preisgabe der ästhetischen Zumutungen einer entfalteten Moderne.
Das große Publikum freilich findet sich eher im Max-Littmann-Saal beim traditionelleren Programm, das ebenso unterhaltsam wie intelligent ausfällt: Das Lajos-Sárközy-Trio bezieht mit dem Franz-Liszt-Kammerorchester die Ungarischen Tänze von Johannes Brahms auf die Spielweisen der Folklore zurück und spielt, wie der ungarische Geiger Eduard Reményi einmal zu Brahms gesagt haben soll, „dass sich Haare fliegen“.
Als dann Kent Nagano die fünfte Symphonie von Franz Schubert und, gemeinsam mit Nikolai Lugansky, das zweite Klavierkonzert von Johannes Brahms aufführt, merkt man doch an der inneren Lebhaftigkeit der orchestralen Dialoge und der geschmeidigen Schönheit der Holzbläserakkorde, dass das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin und sein ehemaliger Chefdirigent wie füreinander geschaffen waren. Er hat es 2006 einfach zu früh verlassen. Er tut dem Orchester, auch jetzt wieder, gut.