Zweimal Kleist im Kino : Kohlhaas ist nicht kaputtzukriegen
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Mads Mikkelsen gibt in Arnaud des Pallières Verfilmung einen düsteren, fast emotionslosen Kohlhaas Bild: dpa
Komisch und ernst adaptiert und doch gleichermaßen geglückt: Gleich zwei neue Filme aus Deutschland und Frankreich wählen Heinrich von Kleists berühmteste Novelle als Vorlage.
Wie lesen wir „Michael Kohlhaas“? Als historischen Lektüreschlüssel zu den napoleonischen Feldzügen, als die Frage nach dem gesellschaftlichen Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit oder als das Psychogramm des „rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“? All das stimmt und nichts davon. Heinrich von Kleists Novelle von 1810 verweigert sich einer literaturwissenschaftlichen Deduktion. Sein „Kohlhaas“ bleibt Phänomen, ein pyroklastischer Strom - daraus speist sich seine Morphologie, deswegen arbeiten wir uns nach wie vor an ihm ab.
Die Novelle spielt im sechzehnten Jahrhundert und erzählt, wie aus dem aufrichtigen Rosshändler Kohlhaas wegen einer erlittenen Ungerechtigkeit ein „Räuber und Mörder“ wurde. Nachdem er um zwei seiner Pferde betrogen, seine Klage vor Gericht abgewiesen und seine Frau beim Versuch, am Hofe vorzusprechen, tödlich verletzt wird, schwört Kohlhaas Vergeltung. Er inszeniert sich als „Statthalter Michaels, des Erzengels, der gekommen sei...mit Feuer und Schwert, die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen“, und beginnt einen blutigen Rachefeldzug, bei dem dann halb Sachsen in Flammen aufgeht.
Zwei Verfilmungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten
Gleich zwei Verfilmungen des Stoffes, die unterschiedlicher nicht sein könnten, kommen nun ins deutsche Kino. Während der französische Regisseur Arnaud des Pallières mit Mads Mikkelsen in der Rolle des Michael Kohlhaas eine düstere Huldigung an Kleist liefert (die am 12.September in die Kinos kommt), erzählt sein deutscher Kollege Aron Lehmann in seinem nun angelaufenen „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ mit vergleichsweise winzigem Budget die unterhaltsame Metageschichte eines Regisseurs, der um jeden Preis die Novelle verfilmen will.
Des Pallières, dessen Adaption dieses Jahr in Cannes lief, bleibt trotz der Nähe zum Original deutlich leiser als Kleist. Nicht nur die Wahl der kargen Landschaft, sondern insbesondere der minimalistische Umgang mit Musik und Geräuschen machen das deutlich. Monotones Trommeln rückt die Bilder ins Beklemmende; ansonsten schweigen die Instrumente. An ihre Stelle treten die durch die Handlung erzwungenen Geräusche, als deren Meister sich des Pallières beweist. Über sie erzählt er von der Gewalt, die bei Kleist Treibstoff der Handlung ist. Das Schnalzen der Armbrüste, das Kreischen eines Säuglings und das Wiehern der Pferde verweisen auf eine dahinterstehende Gewalteinwirkung, ohne sie ihrer Grausamkeit zu berauben.
Diese Tonkomposition sorgt für die stärksten Momente des Films. Lisbeths Sterbeszene, in der Kohlhaas den blutenden Körper seiner Frau säubert und an sich drückt, vollzieht sich ohne ein Wort. Stattdessen legt sich das Keuchen der aus der Ferne herbeieilenden Tochter über die Bilder. Die Gewalt wird ins Spannungsfeld von Dichte und Distanz verlagert. Besonders bemerkenswert diesbezüglich ist auch die Geburt eines Fohlens, das Kohlhaas vor den Augen seiner Familie zur Welt bringt. Die Stute wälzt sich dabei auf dem Rücken, grunzt und wiehert, spreizt verkrampft die Beine ab.
Besonders in der ersten Hälfte des Films gelingt es des Pallières, die Lektüreerfahrung als Ganzes auf die Leinwand zu transponieren. Das heißt, beim Zuschauer die Gleichzeitigkeit von Unverständnis, Mitgefühl und Bewunderung für einen Kohlhaas zu wecken, dem man nachsieht wie einer losgetretenen Lawine.