https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/zum-tod-des-schauspielers-jean-louis-trintignant-18110898.html

Jean-Louis Trintignant tot : Die Halbtöne des Lebens

Jean-Louis Trintignant, 1930 bis 2022 Bild: AFP

Jean-Louis Trintignant hat Rennfahrer, Gangster, Patriarchen und große Liebende gespielt, ohne dass es je so aussah, als müsste er sich dafür anstrengen. Seine Kunst war wie das Kino: reine Magie.

          4 Min.

          Wenn man Jean-Louis Trintingant mit einem einzigen Satz charakterisieren müsste, könnte man sagen: Er war der Star, dem sein Ruhm egal war. Allein die Rollen, die er ablehnte (etwa in Bertoluccis „Letztem Tango“ und Coppolas „Apocalypse Now“) hätten für eine ganze Filmkarriere gereicht. Festivals und Preisverleihungen waren ihm lästig, seinen Verehrern ging er aus dem Weg. Mit siebzig zog er sich aus dem Kino zurück, um dann doch, widerwillig und selten, für ein paar unsterbliche Rollen vor die Kamera zurückzukehren. Mit dreiundachtzig, nach Michael Hanekes „Liebe“, für den er den Europäischen Filmpreis und den französischen César als bester Hauptdarsteller gewann, sollte dann endgültig Schluss sein. Aber noch einmal konnte ihn Haneke überreden. In „Happy End“ spielt er einen Patriarchen, Gründer einer Baufirma, der sterben will. Auf der Straße spricht er ein paar Migranten an, die ihm dabei helfen sollen, aber sie schrecken vor seiner finsteren Entschlossenheit zurück. Am Ende schiebt ihn seine Enkelin mit seinem Rollstuhl ins Meer. Er lächelt dabei.

          Ein Grübler und Zögerer

          Andreas Kilb
          Feuilletonkorrespondent in Berlin.

          Die Kindheit, aus der diese Schauspielerlaufbahn erwuchs, kann keine glückliche gewesen sein. Trintignants Mutter zog ihm jahrelang Frauenkleider an, weil sie keinen zweiten Sohn haben wollte. Dann kam die deutsche Besatzungszeit; der Vater, ein Industrieller, ging zur Résistance, während die Mutter bei Kriegsende wegen einer Liaison mit einem deutschen Offizier öffentlich kahlgeschoren wurde. Mit neunzehn, nach einem abgebrochenen Jurastudium, geht Jean-Louis Trintignant nach Paris, um die Kunst der Bühne zu erlernen. Gleichzeitig studiert er an der Filmhochschule: Er will lernen, wie man Regie führt, die Schauspieler anleitet. Daraus wird nichts; der Drang zum Spielen ist stärker. Mit Anfang zwanzig bekommt er die Heldenrollen, die zu seinem Gesicht passen, vor allem Hamlet, den Grübler und Zögerer. Vor der Kamera, später, wird er das Zögern zur Perfektion entwickeln: In „Meine Nacht bei Maud“ zuckt er eine Filmstunde lang davor zurück, mit Françoise Fabian zu schlafen, und in Truffauts „Auf Liebe und Tod“ drückt er sich um Fanny Ardant herum, bis er wirklich nicht mehr anders kann, als sie zu küssen. In „Liebe“ schließlich zögert er lang, bis er seiner Frau, die an Demenz im Endstadium erkrankt, das Kissen auf den Kopf drückt, um sie zu erlösen. Unentschlossenheit ist in Filmen oft lästig. Bei Trintignant ist sie herzzerreißend.

          Der Anfang des Weltruhms: „Ein Mann und eine Frau“ (mit Anouk Aimée), 1966 Bilderstrecke
          Stationen einer Karriere : Von „Ein Mann und eine Frau“ bis „Liebe“

          Eine Affäre mit Brigitte Bardot, am Set und nach den Dreharbeiten von „Und immer lockt das Weib“, machte ihn berühmt. Aber er wollte den Ruhm nicht und auch nicht die Frau, nach der alle gierten. Nach dem Militärdienst, den er in Deutschland ableistete, kehrte er auf die Leinwand zurück, in kleineren, dafür besseren Filmen wie Dino Risis „Il sorpasso“ (der auf Deutsch dämlicherweise „Verliebt in scharfe Kurven“ heißt) und „Mord im Fahrpreis inbegriffen“ von Costa-Gavras.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan und die Polizei am Sonntagabend, dem 28. Mai, in der Innenstadt von Mannheim.

          Deutschtürken und Erdogan-Sieg : Sie wollen einfach nicht

          Es ist eine Binsenweisheit: Irgendetwas läuft schief mit der Integration in Deutschland. Die Autokorsos nach der Erdogan-Wahl zeigen den Deutschen, wie naiv ihre Migrationspolitik ist.
          Konflikt mit Ansage: Zusammenstöße zwischen serbischen Demonstranten und KFOR-Soldaten in Zvečan am Montag.

          NATO stockt Kosovo-Truppe auf : Eskalation mit Ansage

          Die Spannungen im Kosovo sind Folge eines seit Langem schwelenden Konflikts. Daran ist nicht nur Belgrad schuld. Die USA hatten Prishtina zuletzt deutlich vor einer Eskalation gewarnt.

          Vermisster Bergsteiger : Tod auf 8400 Metern

          Luis Stitzinger war allein auf dem dritthöchsten Berg der Welt unterwegs, seit Donnerstag galt er als vermisst. Nun wurde sein Leichnam gefunden.
          Prominente Aufseherinnen: Katrin Suder (Deutsche Post DHL), Martina Merz  Siemens) und Clara Streit (Vonovia)

          Unternehmen : Dax-Aufsichtsräte immer weiblicher

          In diesem Jahr werden erstmals mehr Frauen als Männer neu in die Dax-Aufsichtsräte gewählt. Anders sieht es auf den Spitzenposten in den Kontrollgremien aus.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.