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Willem Dafoe auf der Berlinale : Im Ersatzteillager

Satt und zufrieden, ohne einen Funken Inspiration: Willem Dafoe mit seinem Goldenen Ehrenbären. Bild: EPA

Willem Dafoe hat auf der Berlinale den Goldenen Ehrenbären bekommen. Lust, über sein Leben und Werk zu plaudern, hat er aber leider nicht.

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          Der Saal war voller junger Talente. Unruhig rutschten sie auf ihren Theatersitzen herum, reckten Hälse und Handys in die Höhe und warteten auf den Auftritt ihres Leinwandhelden. Willem Dafoe, der diesjährige Träger des Goldenen Ehrenbären, kam im schwarzen Rollkragenpullover auf die Bühne der „Berlinale Talents“ und setzte sich mit dem Versprechen, ein paar Geheimnisse preiszugeben. Die spitzen Wangenknochen von einem graumelierten Vollbart verdeckt, das wippende rechte über das linke Bein geschlagen, so wurde er vom britischen Filmhistoriker Peter Cowie zu Leben und Werk befragt.

          Simon Strauß
          Redakteur im Feuilleton.

          Lust auf das Gespräch hatte Dafoe offensichtlich keine. Nur widerwillig erzählte er hier und da eine Anekdote – wie er bei den Dreharbeiten von „Heaven’s Gate“ die Aufmerksamkeit von Michael Cimino durch ein zu lautes Lachen auf sich gezogen habe, wie eifersüchtig Gene Hackmann auf ihn gewesen sei, weil er in „Mississippi Burning“ mehr Autofahren durfte als er, oder dass Martin Scorsese ihm als einzige Vorbereitung für seine Rolle als Jesus Christus aufgetragen habe, sich Pasolinis „1. Evangelium – Matthäus“ anzuschauen.

          „It's all pretending“

          Ansonsten antwortete er auf jede Frage so, als habe er sie schon tausendundein Mal beantwortet. Nein, der psychologische Realismus sage ihm nichts. Ja, er sei ein physischer, reaktiver Spieler, fühle sich eher als Sportler denn als Interpret. Wo er seine Körperlichkeit unter Beweis stellt, schien ihm mehr oder weniger zweitrangig, egal ob Drama oder Komödie, Low-Budget oder Blockbuster, Theater oder Kino – es gehe in seinem Geschäft sowieso immer nur um das Gleiche: „It’s all pretending.“

          Für Bewunderer des in mehr als hundert Filmen besetzten Schauspielers Dafoe war die Begegnung mit dem realen Menschen an diesem Berlinale-Nachmittag im Hebbel am Ufer eine herbe Enttäuschung. Weder die Fragen noch die ausgesuchten Filmausschnitte schienen ihn zu interessieren. Da saß einer, der so unbeteiligt über seine Filme sprach, als handele es sich dabei um ausgesonderte Ersatzteile für Hydraulikpumpen. Satt und zufrieden, ohne einen Funken Inspiration, ließ Dafoe die Fragerunde aus dem Zuschauerraum über sich ergehen. Lachte zu oft und zu laut, wackelte unkoordiniert mit den Füßen und beteuerte einmal mehr, wie wichtig ihm sein trainierter Körper sei.

          Geheimnisse erfuhr man keine. Dass Dafoe dieselbe Kleidergröße wie Pier Paolo Pasolini trägt, im Kino lieber Out- als Insider spielt und im Moment mit dem italienischen Pseudoästhetiker Romeo Castellucci zusammenarbeitet, waren denn schon die interessantesten Mitteilungen. Dafoes abfällige Selbstbeschreibung als „Mietschauspieler“ führte abschließend vor Augen, was Darsteller eben auch sein können: nichts als leere Hüllen, die darauf warten, mit neuem Stoff gefüllt zu werden.

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