Film „She Said“ : Schuld und Recherche
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Schwierige Recherchen: Carey Mulligan (links) und Zoe Kazan Bild: dpa
Wie macht man aus journalistischen Recherchen einen Thriller? Maria Schraders packender Weinstein-Film „She Said“ mit Carey Mulligan und Zoe Kazan als investigative Reporterinnen zeigt es.
Wie bringt man ein System des Machtmissbrauchs zu Fall, das über Jahrzehnte etabliert ist? Im modernen Amerika lautete die Antwort auf diese Frage lange Zeit: durch unabhängigen, kritischen Journalismus. Dass wir bereits in Zeiten leben, in denen sich das ändert, flicht die Regisseurin Maria Schrader ganz nebenbei zu Beginn ihres Films „She Said“ ein. Sie zeigt die beiden Reporterinnen Megan Twohey (Carey Mulligan) und Jodi Kantor (Zoe Kazan) bei ihrer Arbeit für die New York Times. Twohey überredet eine Frau, über die Belästigung zu sprechen, die ihr von Donald Trump widerfuhr. Die Frau erklärt sich bereit, der Artikel wird veröffentlicht und Trump dennoch zum Präsidenten gewählt. Twohey ist zu der Zeit schon schwanger und zieht sich einige Monate ins Private zurück. Währenddessen gräbt ihre Kollegin Jodi Kantor nach Zeuginnen und Zeugen, die ihr über Missbrauchsvorwürfe im Hollywoodsystem berichten können.
Wie lang solche Recherchen dauern, gibt Schrader durch zeitliche Raffung wieder, in der die Lebenswege der beiden Frauen einander gegenübergestellt werden. Kantor telefoniert, hinterlässt Nachrichten, erhält Absagen. Twohey bekommt in der Zeit ihr Kind und entwickelt eine postnatale Depression, aus der sie sich mit Arbeit retten will. Gemeinsam versuchen sie, Material gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein in die Hände zu bekommen - am Ende wird es ihr Artikel sein, der ihn zu Fall bringt.
Wenn es den vielbeschworenen „weiblichen Blick“ in der Regie gibt, dann ist Maria Schraders Film ein Lehrbeispiel dafür. Ihre Figuren bewegen sich außerhalb etablierter Heldenkino-Klischees, verbinden Härte und Weichheit, Stärken und Schwächen. Die beiden Hauptdarstellerinnen sind ausgezeichnete Komplizinnen für Schraders Vorhaben in dieser Richtung: Carey Mulligan verleiht ihrer Reporterin Twohey den Instinkt eines britischen Jagdhunds, wenn sie nachts im Auto vor großen Villen wartet, bis ein ehemaliger Finanzberater Weinsteins nachhause kommt, um ihn wegen Abfindungszahlungen an belästigte Mitarbeiterinnen zu befragen. Zoe Kazan hingegen nutzt ihre ohnehin schon großen Augen zu einem weichen Blick, der immer Mitgefühl für ihre Interviewpartner, aber nie Schwäche ausdrückt. Die Beziehung der beiden zueinander geht nicht über das Arbeitsverhältnis hinaus, das Drehbuch gibt ihnen Momente der Intimität, stilisiert sie aber nicht zu neuen besten Freundinnen.
Elegant erzählt Schrader beiläufig von modernen, emanzipierten Beziehungen. Die Partner von Twohey und Kantor kümmern sich ebenfalls um die Kinder, akzeptieren, dass die Arbeit für ihre Frauen an erster Stelle kommt, und beklagen sich nicht, wenn nachts das Telefon klingelt. Glichen Reporter in Filmen über investigative Journalisten lange Zeit den frühen Detektiven der Schwarzen Serie, waren also einsame Typen, die sich so tief in ihre Arbeit vergruben, dass sie kein funktionierendes Leben außerhalb ihrer Ermittlungen zustande brachten, so schaffen es Mulligan und Kazan, glaubhaft zu vermitteln, dass Reporterinnen heute Arbeit und familiäre Aufgaben auf gleich hohem Niveau meistern müssen und können. Natürlich hat auch das seine Schattenseiten, wenn Mulligan beim Sonntagsspaziergang mit Mann und Kind im Park noch eine Anwältin am Telefon bearbeitet, ihr Unterlagen herauszugeben oder Kazan bei einer Recherche in London ihre kleine Tochter per Skype anruft und das Videotelefonat genau dann abbricht, wenn diese sie fragt, was eine Vergewaltigung eigentlich sei.