75 Jahre DEFA : Jeder will mal raus aus seiner Haut
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Unter den Wolken ist die Freiheit groß genug: „Fräulein Schmetterling“ Bild: DEFA-Stiftung
Zwischen Anpassung und künstlerischer Freiheit: Vor 75 Jahren gründete die DDR das Unternehmen Deutsche Film AG, kurz DEFA – und schrieb damit Filmgeschichte.
Am Ende des Films weint sie und spaziert einsam über die bis an den Horizont reichenden Gleise. Die Sonne leuchtet über den Industrieanlagen. Das zierliche Mädchen will einfach nur fliehen, aus ihrer beengten Welt, ihren sozialen Bindungen, ihren beruflichen Verpflichtungen. Mit rauer Stimme singt Klaus Renft, von der gleichnamigen Rockcombo: „Als ich wie ein Vogel war, der am Abend sang, riefen alle Leute nur Sonnenuntergang“. Das Lied ist eine Ode an die Freiheit, denn Susannes Alltag ist nicht frei.
Die junge Frau ist Facharbeiterin in einem Textilbetrieb. Ob bei der Arbeit oder in ihrer Familie, sie ist für alle da. Ihre Bedürfnisse und die Liebe zu Lutz bemerkt niemand, nicht einmal Lutz selbst, der mit Susannes bester Freundin anbandelt.
Der DDR-Jugendfilm „Für die Liebe noch zu mager?“ von 1973 ist eine Persiflage auf die Jugend im real existierenden sozialistischen System und zugleich eine Aufstiegsgeschichte im Sinne des Sozialismus, denn der Film zeichnet Susannes Weg zur Emanzipation nach. Die Ambivalenz zwischen der Anpassung an die Systembedingungen und der Suche nach künstlerischer Freiheit und der Kritik an den Lebensbedingungen in der Deutschen Demokratischen Republik zieht sich durch viele Filme der DEFA. Die Wurzeln dieses Gegensatzes, der zu einem besonderen filmischen Stil führte, liegen zum Zeitpunkt der Entstehung des Films bereits bald dreißig Jahre zurück.
Am 17. Mai 1946 wurde in Potsdam die staatliche Filmproduktionsgesellschaft gegründet. In den Hallen der Althoff-Ateliers in Babelsberg, einem Komplex mit Filmstudios, nimmt die Deutsche Film A.G. ihre Arbeit auf, um, wie es der sowjetische Kulturoffizier Sergej Tulpanow in seiner Rede umriss, „dabei zu helfen, in Deutschland die Demokratie zu restaurieren, die deutschen Köpfe vom Faschismus zu befreien und sie zu sozialistischen Bürgern zu erziehen“. Tulpanow überreicht die Lizenz für die „Herstellung von Filmen aller Kategorien“. Noch in den Ruinen von Berlin entsteht kurze Zeit später der erste deutsche Nachkriegsfilm „Die Mörder sind unter uns“, ein expressionistischer Film-Noir-Thriller über die nationalsozialistischen Missetaten mit der jungen Hildegard Knef in der Hauptrolle.
Staatsgetreue Filmproduktion
Leitbilder der DEFA-Filme waren von da an der Antifaschismus und der sozialistische Realismus. Denkweisen und Darstellungen von „Nihilismus, Dekadenz und Spießertum“ sollen die Filmschaffenden in ihren Werken „entlarven“, heißt es in den Produktionsstatuten. Die Filme sollten die humanistischen Werte der DDR widerspiegeln. Es entstehen propagandistische Monumentalfilme, wie Kurt Maetzigs Ernst-Thälmann-Epos oder die Karl-Liebknecht-Biographie „Solange Leben in mir ist“ von Günter Reisch.
Trotz des ideologischen Fundaments und der Kontrolle durch die SED-Aufsichtsbehörden setzen die Filmschaffenden immer wieder Glanzpunkte. Das liegt auch an der Organisation der Filmstudios, die in Kollektive aufgeteilt werden, was gewisse Freiheiten ermöglicht. Einige Produktionen werden weltweit rezipiert und 2005 bei einer Retrospektive des New Yorker Museum of Modern Art mit dem Titel „Rebels with a Cause“ in den internationalen Kanon aufgenommen. Benannt war die Schau nach Gerhard Kleins und Wolfgang Kohlhaases „Berlin – Ecke Schönhauser“ von 1957, einer Sozialstudie, die das Lebensgefühl der Großstadtjugend vermittelt.
Zu den Meisterwerken dieser Anfangsphase gehört auch die Romanverfilmung „Nackt unter Wölfen“ von Frank Beyer, die 1963 Premiere feierte und den antifaschistischen DDR-Gründungsmythos manifestieren sollte. Auch das im Sinne der DEFA-Gründung – „Die Parteinahme zu den Schicksalsfragen ist Angelegenheit der Künstler. Sie können nicht unpolitisch bleiben“. 1965 und 1966 werden im Gegensatz dazu zwei Filmjahrgänge verboten, darunter „Die Spur der Steine“ und das poetische Jugenddrama „Fräulein Schmetterling“ von Kurt Barthel über die Sinnsuche eines Mädchens in einem vom Abriss bedrohten Altbauviertel Berlins. Das Drehbuch für den Film, der lange Zeit nur in Rohfassung vorlag und für das Jubiläum rekonstruiert wurde, hat das Schriftstellerehepaar Christa und Gerhard Wolf geschrieben.