Video-Filmkritik : Trumpf und Fluch: Der neue Woody Allen
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Bild: Concorde
Woody Allen wurde 75 Jahre alt und bleibt im Rhythmus: Der Regisseur setzt in „Ich sehe den Mann deiner Träume“ ein einzigartiges Staraufgebot in Szene.
Von Cézanne, dem Maler, heißt es, er sei im Alter wunderlich geworden, habe Sätze gesagt wie „Alles verschwindet, man muss sich beeilen, wenn man noch etwas sehen will“ und immer dieselben drei Totenschädel auf einem Perserteppich gemalt. Eines der Schädelbilder, so berichtet ein Freund, der den Greis besuchen durfte, habe eine Zeitlang täglich die Farbe gewechselt, je nachdem, wie Cézanne gerade aufgelegt war. „Wahrlich, seine Art zu arbeiten“, schrieb der Freund, „war ein Nachdenken mit dem Pinsel in der Hand.“
Um Woody Allen steht es nicht ganz so schlimm. Zugegeben, der Regisseur von „Manhattan“ und „Bullets over Broadway“ wird an diesem Mittwoch 75, und die Zeit, in der seine Komödien rings um die Welt die Kunstkinos füllten, ist auch schon eine Weile her. Aber er dreht immer noch im selben Rhythmus weiter, einen Film pro Jahr, und nach wie vor reißen sich die Götter und Göttinnen der Branche um das Privileg, bei ihm vor der Kamera stehen zu dürfen.
Variieren und Zerpuzzeln
Für sein neues Projekt etwa wollte er Anthony Hopkins haben, Antonio Banderas, Naomi Watts, Josh Brolin und die „Slumdog Millionär“-Actrice Freida Pinto, und siehe, sie kamen alle. Mr. Allen goes shopping, so könnte man diese Besetzungsorgien nennen, die viel über die Sehnsucht der Hollywoodstars nach einem Kino-Erzähler verraten, der sie endlich ernst nimmt und erkennt.
Aber es gibt einen Haken an dieser unverwüstlichen Allen-Methode, und der liegt eben im Erzählen. Wer jedes Jahr auf der Leinwand eine Geschichte erzählt, hat bald alle Geschichten erzählt, die es im Kino gibt. Oder zumindest in seinem Kino. Ein Ausweg besteht darin, sich bei fremden Autoren zu bedienen, doch das kommt für Woody Allen nicht in Frage (es sei denn, das Vorbild ist Fellinis „La Strada“ wie bei „Sweet and Lowdown“). Eine andere Möglichkeit ist das Variieren und Zerpuzzeln eigener, älterer Stoffe, und darin hat der Meister inzwischen Übung.
Die Horoskope stehen günstig
Der Eindruck des Skizzenhaften, den viele seiner jüngsten Filme machen, hat auch damit zu tun, dass Allen das Potential ihrer Storys früher schon einmal ausgereizt hat und jetzt auf Nebengleise ausweichen muss. Die Handlung von „Melinda und Melinda“ beispielsweise wirkt wie eine aus der Schublade gezogene Vorstudie zu „Ehemänner und Ehefrauen“, und in „Match Point“ kann man mühelos das Vorbild der Anjelica-Huston-Episode aus „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ erkennen.
Trotzdem ist „Match Point“ ein großartiger Film, schon deshalb, weil er in London spielt, der Stadt, die für Woody Allen das geworden ist, was Paris für Blake Edwards war: sein erträumtes Exil. Der irritiert-faszinierte Passantenblick, der sich in Manhattan längst abgenutzt hat (siehe „Whatever Works“), funktioniert hier noch, ohne dass die Geschichten ins Exotische abdriften (siehe „Vicky Cristina Barcelona“). Auch Allens neues Werk, das den kryptischen Titel „Ich sehe den Mann deiner Träume“ trägt - im englischen Original merkt man schneller, dass es um Wahrsagerei geht: „You Will Meet a Tall Dark Stranger“ -, ist in London entstanden. Die Horoskope stehen also günstig für den Film.
Bewährte Typen, schöne Unbekannte
Es geht um Alfie (Anthony Hopkins), einen erfolgreichen Geschäftsmann, der seine Frau verlassen hat, und Roy (Josh Brolin), einen erfolglosen Schriftsteller, der seine Frau verlassen wird. Die Verbindung zwischen ihnen besteht darin, dass Roy mit Alfies Tochter Sally (Naomi Watts) verheiratet ist, die sich - sie arbeitet in einer Galerie - wiederum in ihren Chef (Antonio Banderas) verguckt hat. Ansonsten könnten die beiden kaum unterschiedlicher sein: Der eine turtelt und prasst, der andere nörgelt und trinkt, der eine hat eine Blondine (Lucy Punch), der andere begehrt eine Brünette (Freida Pinto), die im Hoffenster gegenüber ihr Cello streicht und in rosa Unterwäsche ihren Verlobten empfängt.