Video-Filmkritik : „Nowhere Boy“: Mehr Ödipales als Musikalisches
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Bild: Senator
Zum 30. Todestag John Lennons kommt mit „Nowhere Boy“ ein Biopic über den revolutionärsten Beatle ins Kino, in dem die Musik eher am Rande steht.
Das Bemerkenswerteste an diesem John-Lennon-Film ist die Tatsache, dass ihn Sam Taylor-Wood gemacht hat, die bisher mit Fotografien und Konzeptkunst hervorgetreten ist - Anton Corbijn, ick hör dir trapsen? Vom holländischen Rockfotografen stammt immerhin der Film „Control“, diese Ian-Curtis-Geschichte, die mit zum Stilsichersten gehört, was die neuere Popgeschichtsschreibung an sogenannten Biopics hervorgebracht hat. Das Drehbuch hatte, nach der Vorlage der Curtis-Witwe Deborah, Matt Greenhalgh geschrieben. Von ihm stammt auch das Buch zum 2009 gedrehten und nun, zu Lennons dreißigstem Todestag, in die Kinos kommenden Lennon-Film.
Es ist nicht überraschend, dass „Nowhere Boy“ mit „Control“ nicht mithalten kann; dass er aber derart konventionell geworden ist und in seiner Phantasie, seinen Mitteln noch hinter Fünfziger-Jahre-Problemfilmen nach Art von „. . . denn sie wissen nicht, was sie tun“ zurückfällt, das war nicht zu erwarten gewesen und ist im Grunde auch ein Ärgernis. Es wird dadurch erträglich, dass man diesem Film andererseits keinen falschen Ehrgeiz attestieren kann, der eine Regisseurin angesichts der Lebensgeschichte eines von einer gewissen exzentrischen Intellektualität nicht völlig freien Musikers wie Lennon ja leicht hätte packen können.
Eine haarsträubende Konstellation
So langweilt man sich ein bisschen dabei, wie hier das Liverpool der mittleren fünfziger Jahre eingefangen ist - mit absolut unhektischer Kamera und in herbstlich-gedeckten, Augen und Nerven schonenden Farben; man wird aber auch nicht durch Mätzchen von der Geschichte abgelenkt, die auf das zugeschnitten ist, was man den ödipalen Komplex nennen könnte: Es ist bekannt, dass Lennon bei seiner Tante Mimi aufwuchs, weil seine Mutter Julia mit dem Kind überfordert war und dann, als John aber noch längst kein Beatle war, auch noch bei einem Autounfall ums Leben kam; Vater Alfred ging früh stiften.
Hieraus wird allerdings eine geradezu haarsträubende Konstellation gebastelt: Julia flirtet mit ihrem eigenen Sohn herum und bringt ihm auf dem Banjo sogar das Hurenlied „Maggie Mae“ bei. Dies soll, so wird es zumindest suggeriert, den später so rasant abschnurrenden Rock-'n'-Roll-Motor namens „Beatles“ starten. Dass die Initialzündung in Wirklichkeit natürlich von Elvis Presley ausging - „Vor Elvis“, sagte Lennon später, „langweilte mich alles“ -, muss eine Regisseurin, die es eher mit dem Verstehen als mit dem Wissen hält, und auch den Zuschauer nicht groß kümmern. Dass aber Mutter Julia dann auch noch mit dem hier doch etwas übertrieben milchgesichtigen Paul (McCartney) herumschäkert, so dass die Rivalität zwischen den späteren fab two darüber noch einen ganz anderen Einschlag bekommt, ist der psychologischen Freizügigkeit etwas zu viel.
Zwischen Mutter und Tante
Wie man hört, hat Taylor-Wood vorher die Biographie von Lennons Halbschwester Julia Baird „Imagine This - Growing up with My Brother John Lennon“ (2004) gelesen. Die Ödipusthese aber setzte der ansonsten so seriöse Biograph Philip Norman mit „John Lennon“ (2008) in die Welt, indem er andeutete, Lennon habe sich zu seiner Mutter hingezogen gefühlt. Im Film weiß John aber erst gar nicht, wer seine Mutter ist, und so kommt es, dass Julia hier mittut wie ein Backfisch.
Die zwingendste Szene ergibt sich, als John zwischen seiner Mutter, die ihn weggab, und seiner Tante Mimi, bei der er aufwuchs, steht. Hier verdichtet sich die Traurigkeit, die den Film sanft umgibt, zum bitteren Seelendrama. Insofern wäre es vielleicht besser gewesen, man hätte sich auf diesen Aspekt noch stärker konzentriert, um so dem Geheimnis von Lennons Künstlertum, das viel mit Kränkung und, daraus resultierend, Spott und Sadismus zu tun hat, auf die Spur zu kommen. Aber es war wohl nicht die Absicht, die Geburt der Musik aus dem Geiste der Tragödie zu schildern, sondern mehr so allgemein ein Liverpooler Nachkriegsmilieu auszumalen, aus dem zufällig John, Paul, George und Ringo hervorgingen und dem die fast sprichwörtliche nordenglische Tristesse doch sehr fehlt.
Musik gibt es nur am Rande
So hat „Nowhere Boy“ mit Musik nur am Rande zu tun, und die ungeheure Wucht, die Lennon erfasste, als er Elvis und die anderen zum ersten Mal hörte, wird genauso unterschlagen wie die damals ja recht deftigen Halbstarkenmanieren der Junggenies. Es stimmt schon, alle Vorstufen der Beatles waren stark vom Skiffle beeinflusst, akustischer Musik, mit der man auch den strengsten Eltern keinen richtigen Schrecken einjagen konnte. Aber dass die Combo, die Lennon selbstbewusst zusammenstellt, nur eine unverstärkte Countryband gewesen sein soll, wird der Regisseurin und dem Drehbuchautor kein Beatles-Hörer abkaufen.
Wenn man sich diesen kurz vor dem Hamburger Abstecher endenden Film trotzdem ganz gerne ansieht, dann nicht nur deswegen, weil man angesichts des zweiten Lennon-Jubiläums dieses Jahres doch etwas melancholisch gestimmt ist - es ist auch wegen der Schauspieler, allen voran Kristin Scott Thomas, die eine würdevolle, starke und klare Tante Mimi gibt, und Aaron Johnson, der dafür, dass er sich den Liverpooler Akzent so mühsam antrainieren musste, reichlich entschädigt wurde: Sam Taylor-Wood, die nur dreiundzwanzig Jahre älter ist, bekam im Sommer ein Kind von ihm.