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Video-Filmkritik : Der Handlungsreisende des Terrors: „Carlos - Der Schakal“

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Bild: NFP

In der dreistündigen Kinofassung von Regisseur Olivier Assayas spielt der venezuelanische Schauspieler Édgar Ramírez den meistgesuchten Terroristen der siebziger und achtziger Jahre.

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          Das Fahndungsplakat hat man noch im Kopf: das teigige Gesicht mit dem schiefen Mund und vor allem die Brille mit den getönten Gläsern. Das war die gewöhnliche Fratze des Terrors, die viel gespenstischer wirkte als die vergleichsweise fanatisierten Blicke auf den Fahndungsplakaten für die RAF. In „Carlos - Der Schakal“ kann man nun endlich hinter die Sonnenbrille blicken - nur um festzustellen, dass dahinter immer neue Maskierungen zum Vorschein kommen.

          Das ist kein Wunder bei einem Mann, der mit einem Decknamen berühmt wurde und dessen Beiname auf einem Missverständnis beruhte. Bei der Durchsuchung eines seiner Quartiere war 1975 Frederick Forsyths Krimi „Der Schakal“ gefunden worden, was die Presse begierig aufgriff. Carlos hatte das Buch allerdings nie gelesen, es gehörte dem Informanten, der sich mit ihm in Paris die Wohnung geteilt hatte. In Wahrheit hieß der meistgesuchte Terrorist der siebziger und achtziger Jahre Illich Ramirez Sánchez, dessen Vater Anwalt in Venezuela war und der aus marxistischer Überzeugung seine drei Söhne Wladimir, Illich und Lenin getauft hatte.

          Revolutionär mit Deckname „Carlos“

          Kein Wunder, dass zwei der Brüder auf Wunsch der Eltern ab 1968 an der Patrice-Lumumba-Universität in Moskau studierten, wo Illich aber zwei Jahre später wegen „ausschweifenden Lebensstils“ ausgeschlossen wurde. Von dort ging er in ein Trainingslager der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, wo er seinen Decknamen Carlos bekam, obwohl er lieber Johnny geheißen hätte. Es geht also um einen Mann mit vielen Namen und Gesichtern, der sich gerne als Revolutionär sah und doch nur ein Söldner war.

          Das ist eine der Stärken von Olivier Assayas' fünfeinhalbstündigem Fernsehfilm, der parallel auch in einer dreistündigen Fassung in unsere Kinos kommt: Wie er Carlos als Meister der Selbstinszenierung zeigt, der revolutionäre Parolen besonders gerne dann einsetzt, wenn er sich davon Vorteile verspricht - besonders bei den Genossinnen -, und der sich als Herr des eigenen Geschicks wähnt, obwohl er längst eine Marionette in einem politischen Spiel ist, das er nie ganz durchschaut.

          Ramírez' Carlos ist ein Genussmensch

          Ein Glücksfall ist die Besetzung der Titelrolle mit dem venezuelanischen Schauspieler Édgar Ramírez, der kurioserweise auch schon eine Rolle in Steven Soderberghs „Che“ hatte und in „The Bourne Ultimatum“ den an Carlos angelehnten Gegenspieler Paz spielte. Er schafft es, der Figur in ihren verschiedenen Stadien der Verfettung eine Art Charisma des Fadenscheinigen zu verleihen.

          Sein Carlos ist ein Genussmensch, der den Chic des Radikalen schnell begriffen hat, ein weltläufiger Charmeur, der mindestens fünf Sprachen spricht, ein brutales Schwein, das den Tod von Menschen ungerührt in Kauf nimmt, ein schmieriger Latin Lover, der sich nackt vorm Spiegel verzückt ans Gemächt greift, ein Macho, der ironischerweise ausgerechnet dann vom französischen Geheimdienst 1994 im Sudan geschnappt wird, als er wegen Krampfadern unter höllischen Hodenschmerzen leidet. Ramírez macht diese Übergänge als Handlungsreisender in Sachen Terrorismus fließend und wirkt noch nicht einmal lächerlich, als er sich für den Überfall auf die Opec-Konferenz in Wien 1975 mit Barett als Che stilisiert.

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