Video-Filmkritik : „Das Schmuckstück“ spannt den Rettungsschirm
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Bild: Concorde
François Ozons Film „Das Schmuckstück“ erzählt so altmodisch wie brillant von der Krise einer Regenschirmfabrik.
Bei so einem Regenschirm kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Er braucht einen Griff, einen Stiel, eine Reihe von Kielen, der Rest ist wasserdichtes Material, das selten so bunt und poppig ist, wie uns das Kino vor allem in Musicals immer wieder glauben machen will. Wenn in François Ozons neuem Film „Das Schmuckstück“ eine neue Regenschirmkollektion vorgestellt wird, dann geht es allerdings um nicht mehr oder weniger als die Zukunft der globalisierten Wirtschaft: Das Design ist das eine, das andere sind die Japaner, die im Jahr 1977 auch schon auf dem Markt sind, und die Chinesen, die auf den Markt drängen. Dem kann man nur begegnen, indem man nicht nur Dutzendware und gedeckte Farben anbietet, sondern echte Hingucker, zum Beispiel die neue Reihe „Kandinsky“, die, inspiriert von moderner Kunst, manchem Mitarbeiter der Regenschirmfabrik Pujol ein wenig „knallig“ vorkommt.
Dieses Urteil trifft auch ganz gut den ganzen Film, in dem der vielseitigste der französischen Regisseure der Gegenwart sich und uns einen nostalgischen Scherz mit weitreichenden aktuellen Implikationen gönnt. „Das Schmuckstück“ (“Potiche“) beruht auf einem dreißig Jahre alten Boulevardtheaterstück gleichen Namens von Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy. Die Mechanik dieser Komödie ist im Film noch deutlich zu erkennen.
Im Zentrum steht eine Unternehmerfamilie, die Pujols, die seit Jahrzehnten von den Profiten einer Regenschirmfabrik leben. Der cholerische Patron Monsieur Pujol (Fabrice Luchini) reibt sich in Auseinandersetzungen mit der aufmüpfigen Belegschaft auf, während seine schöne Gattin Madame Pujol (Catherine Deneuve) untätig zu Hause herumsitzt, schlechte Gedichte schreibt und ganz gut ein bisschen Abwechslung gebrauchen könnte.
Depardieu als katalytische Figur
Diese kommt in dem Moment, in dem ihr Mann von den Arbeitern in der Fabrik festgesetzt wird und nur noch der altgediente kommunistische Gewerkschafter Babin (Gérard Depardieu) als Vermittler in Frage kommt. Er ist die katalytische Figur, die all das in Gang bringt, was Barillet und Grédy in bester Tradition ihres Genres an die Oberfläche holen und dort für hübsche Missverständnisse sorgen lassen: Geheimnisse, Bedürfnisse, Erkenntnisse.
Babin ist das Schreckgespenst der Besitzer der Produktionsmittel, er war aber auch einmal ein gutaussehender junger Mann, von dem wir beiläufig erfahren, dass er der damals jung verheirateten Madame Pujol vor vielen Jahren bei einer Reifenpanne behilflich sein konnte - den Rest kann man sich denken, man bekommt ihn in einer schönen Rückblende in eine golden leuchtende Vorvergangenheit aber auch zu sehen.
Das Wachstumsmodell in der Krise
Ozon hat die Handlung nicht in die Gegenwart verlegt, sondern eine Art „period picture“ gemacht, das einen der interessantesten Momente der jüngeren Vergangenheit aufsucht. Das Jahr 1977 markiert ja auch ziemlich genau das Ende der „trente glorieuses“, jener dreißig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen es in Frankreich nur aufwärts ging und der Wohlstand für fast alle zu reichen schien, selbst für die ideologischen Gegner.
In den siebziger Jahren geriet dieses Wachstumsmodell in eine Krise, in der unsere Gegenwart entstand: Die Welt des „Kapitalismus und wilden Liberalismus“, wie sie in einem Dialog im „Schmuckstück“ schon antizipiert wird. Der gereizte Fabrikant Pujol steht für ein ausbeuterisches Modell, er misstraut den Werktätigen, lässt seine Sekretärin „die Beine breitmachen“ und tätigt geschäftliche Abschlüsse bevorzugt im „Badaboum“, einem anrüchigen Etablissement, in das er seine Frau niemals mitnehmen würde. Seine gesundheitliche Krise ist auch die Krise dieses raubbauenden Systems, doch was tritt danach an dessen Stelle?
Ebenso altmodisch wie hintersinnig