Video-Filmkritik : „Darjeeling Limited“- Der Plot der kleinen Dinge
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Bild: Fox
Wes Andersons neuer Film schickt drei Brüder auf eine Zugreise durch Indien, auf der sie Erleuchtungen der besonderen Art empfangen. Es ist ein Film voller Sehnsucht und Nostalgie, der um die furchtbare Angst vor der Unausweichlichkeit des Alterns kreist. Christian Kracht war begeistert.
Ein Mann im Anzug, selbstverständlich trägt er Schnäuz, rast im Taxi durch eine recht wuselige Stadt in Indien und versucht, einen abfahrenden Zug, den „Darjeeling Limited“, zu erwischen. Am Bahnhof dann, in Zeitlupe; der Zug fährt ab; der Mann schafft es nicht; er lässt frustriert und atemlos sein Gepäck auf den Bahnsteig fallen; es ist Bill Murray. Er wird im Film nie wieder auftauchen, seine Geschichte ist eine andere.
Bill Murray, der im heutigen Kino nur noch in die Kamera sehen und Gesichtsbehaarung tragen muss, um das Publikum in ironisches Gekicher und augenzwinkernde Begeisterungsstürme zu stürzen, in dessen ausdruckslosem Blick die gesamte Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gleichzeitig verborgen, komprimiert und destilliert zu liegen scheint, dieser Bill Murray ist nur noch Zitat seiner selbst, bekommt einen dreiminütigen Auftritt und verschwindet. Das Implizierte in Bill Murrays halbverwundetem Blick zu überwinden, also jene halbironische, halbmetaphysische Leere nicht länger zu betrachten, das ist eines der großen Themen des neuen Films des Regisseurs und Profi-Nerds Wes Anderson.
Narrenschiff durch den riesigen Subkontinent
Jim Jarmusch hat in seinem recht mäßigen Film „Broken Flowers“ vergeblich versucht, sich an das Geheimnis von Bill Murrays Blick zu hängen, Sofia Coppola hat mit „Lost in Translation“ daraus ebenfalls gleich einen ganzen Film gemacht, doch nur Wes Anderson - dessen Kamera Bill Murray in „Rushmore“, „The Royal Tenenbaums“ und „The Life Aquatic“ gleich einem in ein Vakuum gerichteten Teleskop jahrelang untersucht hat - schafft es nun, sich gleichermaßen am Anfang davon freizumachen, es geht seit neun Jahren, so will uns Wes Anderson sagen - also seit „Rushmore“ im Kino -, nur um Bill Murrays enigmatisch-leeren Blick, jetzt ist es langsam genug damit, nun kommt endlich ein - wie soll man sagen? Vielleicht ja: - ein erwachsener Film. Und siehe da - kaum ist Murray weg, kaum hat er den Zug verpasst, kann endlich einer der besten Filme des Jahres beginnen; es ist die Geschichte dreier Brüder (Jason Schwartzman, Adrien Brody, Owen Wilson), die mit der Eisenbahn durch Indien fahren, auf dem Weg zu sich selbst. Ihr Vater ist vor kurzem verstorben, die Brüder haben sich nie wieder treffen, nie wieder miteinander sprechen wollen, nun tun sie es doch, an Bord jenes indischen Zuges, der gleich einem Narrenschiff durch den riesigen Subkontinent rattert.
Wes Anderson schafft es in „The Darjeeling Limited“ nicht nur, das magische indische Licht Jean Renoirs oder Satyajit Rays einzufangen, sondern auch die entfärbte, langsam verblassende Patina des Kolonialismus (meist ist sie minzgrün), die Sehnsucht, die Nostalgie, das Verzehren und vor allem die furchtbare Angst vor der Unausweichlichkeit des Alterns und des Todes zu zeigen. Und wir erkennen auch, dass es den immer stärker zum Hermetischen neigenden Anderson natürlich freut, dass zwar die pure Form nicht mehr ausreicht, dass das reine Selbstzitat im Sinne Quentin Tarantinos zur filmischen Sackgasse geworden ist, aber dass Dekor und Ausstattung weiterhin mit manischster Akribie betrieben werden können.