Video-Filmkritik: „Dallas Buyers Club“ : Der barmherzige Selbsthilfedealer
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Bild: Ascot Elite
Eine schlimme Diagnose, Kriminalität aus Überlebenswille und große Schauspieler: „Dallas Buyers Club“ von Jean-Marc Vallée zeigt, was Schicksals-Kino kann.
Ron Woodroof aus Texas liebt das Rodeo, eine saftige Prügelei und ein paar Bier, er zieht einiges Koks durch die Nase und ist sexuell ziemlich aktiv, zwei Frauen auf dem Weg zur Bar oder nach Hause, das kann schon passieren, ein paarmal die Woche. Ein echter Kerl. Homophob, wie es sich gehört. Auch deshalb kann er es kaum glauben, als er erfährt, er sei HIV-positiv.
Aber die Diagnose stimmt. Was nicht stimmt, ist die Prognose: noch 30 Tage. Es werden Jahre, und auf dem Weg in den Tod wird Ron ein anderer Mensch. Er bleibt aufbrausend; aber er kümmert sich, und nicht nur um sich. Weil er schnell merkt, wie wenig Hilfe er im Krankenhaus bekommt, nimmt er die Sache selbst in die Hand. Ron Woodroof also gründet einen Club.
Schmuggler im Priestergewand
Wer ihm beitritt, bekommt Zugang zu Medikamenten, die er, als Priester verkleidet, über die Grenze von Mexiko nach Texas schmuggelt, zu Medikamenten, die den Fortgang der Krankheit zu lindern scheinen, von der amerikanischen Gesundheitsbehörde aber noch nicht freigegeben sind, weil dort niemand sich beeilt, während die Infizierten sterben.
Später dehnt er seine Touren auf andere Teile der Welt aus, das FBI setzt sich auf seine Spur, räumt das Clubzimmer in einem Motel, beschlagnahmt die Pillen und Ampullen kistenweise. Woodroof macht weiter. Es ist Selbsthilfe aus Verzweiflung. Und es ist ein Stück Machtergreifung über das eigene Leben, Gewinn neuer Freunde und mehr Spaß, als irgendjemand hätte vorhersehen können.
Desinteresse der Pharmaindustrie
Die Geschichte dieses Ron Woodroof aus Texas, der sich Mitte der achtziger Jahre mit dem Aids-Virus infiziert und mit voller Wucht von der Ablehnung und der Ansteckungspanik der Öffentlichkeit, dem Desinteresse der Pharmaindustrie und der diskriminierenden Behandlung der Krankheit wie der Kranken im Gesundheitssystem getroffen wird, ist eine wahre Geschichte. Das ist kein Gütesiegel und ein Manko nur, wenn böse Absichten dahinterstecken.
Etwa das Leben zur Kitschgeisel zu nehmen. Das liegt dem Kanadier Jean-Marc Vallée, der die Regie geführt hat, fern. Er hat an reichlich verkommenen Plätzen gedreht. Das Motel, das zum Clubhaus wird, sieht aus, als hätte da schon der eine oder andere Cowboy im Suff sein Leben gelassen, wir sehen scheußliche Wunden, schmutzige Spritzen. Vor allem aber hat Vallée nach einem Drehbuch von Craig Borten und Melisa Wallack zwei Männern zu phantastischen Rollen verholfen - Jared Leto, der aus dem Kino fast verschwunden war und hier Rayon, eine transsexuelle Drogenabhängige, mit so großer Sehnsucht spielt, dass man sich wünscht, ihr irgendwann einmal gegenüberzustehen, an einem Supermarktregal möglicherweise, um ihr zu sagen: Sweetie, alles wird gut.
Jenseits des Surfer-Images
Der andere ist Matthew McConaughey. Er spielt Ron, und als Rayon einmal an einem Supermarktregal von einem dicken Texaner schräg angemacht wird, schlägt er zu. Es gibt für diese Geschichte kein glückliches Ende. Aber in dieser Szene für einen Augenblick ein Glück, das beide Figuren nicht erwarten konnten.
McConaughey hat sehr viel Gewicht verloren, um die Rolle des Ron spielen zu können. Aber es ist nicht nur seine Hagerkeit, die sein selbstverliebtes Surfer-Image vergessen lässt, sondern dass sein Ron nach der Diagnose, auch wenn er polternd einen Raum betritt, einen Augenblick zu zögern scheint.
Er spielt einen Mann, der zu zweifeln und sich zu fürchten lernt. Einen, der überhaupt etwas lernt. Und der deshalb irgendwann um Rayon weinen kann. Es ist, in vollem Umfang, ein Triumph des Amateurs - eine ganz amerikanische Geschichte eben, aber erzählt von einem, der von jenseits der Grenze kommt.