Video-Filmkritik : „Bourne Ultimatum“: Die reine kinetische Energie
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Bild: Universal
Vor fünf Jahren erwachte Jason Bourne mit Gedächtnisverlust, zwei Kugeln im Rücken und einer Kapsel in der Hüfte. Als CIA-Auftragsmörder schlug er sich durch zwei erfolgreiche Kinofilme. Jetzt kommt die Bourne-Trilogie zum Abschluss, und Jason erfährt, wer er ist.
Wissen Superhelden eigentlich, dass sie Superhelden sind? Oder sind sie es bloß für uns? Träumen Superhelden von Superheldenabenteuern? Batman, der ja Bruce Wayne heißt, weiß, dass er ab und an die Welt retten muss, Superman ist auch als Clark Kent ganz aus Kryptonite, Spiderman hadert fast schon hamlethaft mit seinem Schicksal, und James Bond hat längst die Lizenz zur Selbstreferenz erworben. Sie alle sind bei sich, auch in wechselnden Kostümen. Und das ist ein recht komfortabler Zustand, der sie von Jason Bourne unterscheidet, obwohl auch der längst weltbekannt ist, in einer der erfolgreichsten Kino-Serien der letzten Jahre gespielt hat und beim dritten Mal immer noch aussieht wie Matt Damon.

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Die Rolle hat Matt Damons Star-Identität definiert; nicht die Rollen als Will Hunting, als Ripley oder als Tollpatsch in „Ocean's Eleven“ haben dazu geführt, dass er in Scorseses „The Departed“ den bösen, harten Cop spielen konnte, es war Jason Bourne, der CIA-Auftragsmörder, der vor fünf Jahren, in der „Bourne Identität“, mit zwei Kugeln im Rücken und einer Kapsel in der Hüfte erwachte, der nicht wusste, wer er ist.
Ich bin nicht Bourne
Amnesie jedoch ist im Kino weniger ein trauriges Schicksal als eine mächtige dramaturgische Triebkraft, und Drehbuchautor Tony Gilroy hat sie, mit wechselnden Koautoren, drei Filme lang optimal genutzt. Deshalb ist auch die Bourne-Trilogie nicht bloß ein Thriller, sondern ein Bewusstseins-Thriller, eine Art Phänomenologie des Geistes als Action-Szenario, welches Bourne wenn auch nicht zum absoluten Wissen, so doch zumindest zur Wahrheit der Gewissheit seiner selbst führt.
Bourne kann den High-Tech-Apparat der CIA unterlaufen, weil er ihn kennt, weil er selbst ein Verhaltensprogramm ausführt und zugleich weiß, dass er es tut. Die Kinofigur Jason Bourne lebt genau aus dieser rasierklingendünnen Differenz: zu wissen, dass sie konditioniert ist, ohne die Konditionierung damit automatisch löschen zu können - Bourne muss hart an seiner Deprogrammierung arbeiten. Sein Ich ist ein anderer, aber es weiß nicht, wer; es reicht, dass es weiß, dass es nicht Bourne ist, um die Geschichte in Schwung zu halten. Fast könnte man mit Hegel behaupten, wer sich einer Grenze als Grenze bewusst sei, sei auch schon darüber hinaus - aber eben noch nicht ganz.
Kampf zweier Systeme
Und so ist die Bourne-Trilogie ein Kampf zweier Systeme: hier der digital hochgerüstete Apparat der CIA, dort der primär analoge Kampf von Jason Bourne, dessen Aktionen sich auf das Betriebssystem auswirken wie die Vorstöße eines Hackers. Einer der smartesten Einfälle im „Bourne Ultimatum“ besteht darin, das Geschehen lange Zeit aus zwei Perspektiven zu zeigen: als Live-Action mit fabelhaften Stunteinlagen und als eine Art Computersimulation auf den Monitoren im Hauptquartier einer CIA-Abteilung in New York. Dort sieht man dem Geschehen in der Waterloo Station in London oder in der Medina von Tanger allerdings nicht einfach zu; es ist ein interaktives Spiel, dessen Ästhetik unübersehbar von Google-Earth imprägniert ist; es ist weniger Film im Film als ein Computerspiel im Film, dessen Inszenierung sich geschickt die Existenz der zahlreichen Überwachungskameras in London zunutze macht. Erst wenn es in New York zum Showdown kommt, ist es vorbei mit dem doppelten Blick.