„The Dead Don’t Die“ im Kino : Rat mal, wer zum Fressen kommt?
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Bild: Abbot Genser / Focus Features
Schlafwandelnd durch die Apokalypse: In „The Dead Don’t Die“ schickt der Regisseur Jim Jarmusch den Zombie-Film zur Blutspende. Er lässt jedoch wenig Raum für Deutung.
Film-Seminar bei Jim Jarmusch. Titel: „The Dead Don’t Die“. Erwünschtes Erkenntnisziel: Der Moment, in dem sowohl Welt als auch Mensch aus dem inneren Gleichgewicht geraten sind, was in zwei von drei Fällen zu apokalypse-artigen Zuständen führt, steht nicht etwa kurz bevor – wir sind mittendrin; und selbst höhere Mächte holen uns da nicht wieder raus. Der Film ist penetrant wie sein Gegenstand, der Zombie: Zunächst wirkt der schlurfende Antivegetarier putzig, aber dann lässt er nicht locker und hat bis zum Ende jeden Deutungsraum besetzt.
Der Regisseur ist berühmt dafür, in vielen seiner Filme Bedeutsamkeiten zu behaupten und aufzustellen wie Pappkameraden und -kulissen. Manchmal, wenn man diese Jarmusch-Konstrukte hinterfragt, wird es eindimensional. Da aber die Zeichen bei Jarmusch oft sehr dicht stehen – großflächige Wortplakate aus direkter Theatersprache und leere Gesten, die wie eine Mauer aus Luftballons jedwede Beschleunigung des Geschehens auffangen –, kann man nur schwer hindurch, dahinter oder darüber hinwegsehen. Würde man Jarmusch fragen, würde er vermutlich sagen: „It’s Zen, stupid“.
Hände, die aus der Erde wachsen, Schrotflinten und Verzweiflung
Immerhin wird es, wenn sich Jarmusch mit Untoten beschäftigt – so wie in der Vampir-Klamotte „Only Lovers left alive“ –, mitunter bissig, beschwingt und sogar entspannt. Doch lässt sich seine handgemachte Kunstanspruchserhebung an Vampiren besser durchbuchstabieren als an Zombies. Um den Kunstanspruch geht es diesmal allerdings gar nicht. Im Gegenteil, es geht um verrohte Reflexe. Um ihr Treibhaus am Laufen zu halten, haben die lebenden Menschen in „The Dead Don’t Die“ die Pol-Kappen per Fracking abgeschmolzen und die Erdrotation verändert. Das bringt nicht nur die Ökosysteme des Planeten durcheinander, sondern auch den Mond zum Leuchten. Seine lila Aura macht die Toten unruhig. Sie stehen auf, um den Lebenden die unumkehrbaren Folgen ihrer Bequemlichkeit vor Augen zu führen. Als Folie dient ein sinn- und seelenentleertes amerikanisches Nest namens Centerville mit 738 Einwohnern, davon drei Polizisten.
In seinem skurrilen Schulfernsehprojekt, das als Eröffnungsfilm in Cannes zuletzt gemischte Reaktionen hervorrief, ist Jarmusch sehr um Eindeutigkeit bemüht. Dafür setzt er das Zombie-Film-Genre auf Diät, bis am Ende nur noch ein Skelett übrig ist: Hände, die aus der Erde wachsen, Schrotflinten und Verzweiflung. Dafür: kein Tempo, kein Splatter, kein Blut und keine horrortypische Ahnungslosigkeit der Opfer. Man ist gut informiert, weiß Bescheid, mit welchem Gegner man es zu tun hat und wie man ihm beikommt: Rübe ab. Besiegen kann man ihn deshalb noch lange nicht.
Tilda Swinton als Bestatterin und Karate-Galadriel
Und weil es einen der stärksten Hundeblicke des Films braucht, um dem Unausweichlichen ins Auge zu sehen, ist es gut, dass Bill Murray als Sheriff Clifford „Cliff“ Robertson eine der tragenden Rollen spielt. Zur Seite stehen ihm Adam Driver als Kollege Ronald „Ronnie“ Peterson, formschön unterwegs im roten Smart-Cabriolet, Chloë Sevigny als Kollegin Minerva „Mindy“ Morrison und – in einer fast rührenden Wes-Anderson-trifft-Quentin-Tarantino-Rolle – Tilda Swinton als schwertbeschwingte Bestattungsunternehmerin und Karate-Galadriel. Als Kommentator fungiert Tom Waits in Gestalt des bärtigen Eremiten Bob. Zu den roten Pilzen spricht er: „Ihr solltet gar nicht hier sein.“ Und weil auch Film ein Kumpel-Business ist, dürfen Jarmuschs Musikerfreunde RZA und Iggy Pop nicht fehlen. Ersterer liefert „Wu-Tang-Wisdom“ beziehungsweise Jarmuschs Sehanleitung: „The world is perfect, appreciate the details.“