Video-Filmkritik : Bilder schauen Bilder an
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Bild: F.A.Z., AV Visionen
Eine Zeichnerin erzählt die Geschichte der Tochter eines großen Künstlers als Comic; ein Trickfilm setzt sie in Bewegung: „Miss Hokusai“ im Kino.
Der Bote eines Auftraggebers will vom Künstler wissen: „Wo ist der bestellte Drache?“ Der Meister antwortet: „Sobald ich ihn vollendet hatte, ist er davongeflogen.“
Drachen gibt es im Trickfilm „Miss Hokusai“ auch ganz kleine: Eine Libelle umschwirrt einen Kinderkopf, große Augen folgen ihrem Tänzchen, dann wechselt die Perspektive, wir sind das Kind, das die Libelle in den Himmel steigen sieht, woraufhin der Blickwinkel ein letztes Mal vertauscht wird. Zuletzt sind wir das schöne Tier, und das Kind stürzt unter uns in die Tiefe.
Der erfahrene und feinfühlige Regisseur Keiichi Hara hat „Miss Hokusai“ nach einem Drehbuch der Szenaristin Miho Maruo gedreht, das wiederum auf dem Manga „Sarusuberi“ der Künstlerin Hinako Sugiura basiert. Es geht darin unter anderem um Katsushika Hokusai, einen der größten Künstler Japans, der im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert lebte. Schon die Eröffnungsszene versammelt sehr verschiedene Schauwerte aus sehr verschiedenen Kunstepochen: Erst wird mit einem Besen auf eine riesige Papierfläche gemalt, danach mit einem haarfeinen Pinselchen auf ein Reiskorn, dann setzt klassische Folienanimation eine Stadtszene im alten Edo (heute Tokio) ins Bild, und schließlich öffnet die Kamera einen weiten Horizont, vor dem sich eine Brücke so pixelglitzernd im Wasser spiegelt, wie’s nur Computergraphik simulieren kann.
Diese bezaubernd müde Anmut
Sehr selten erstarrt die Optik des Films im Zitat, etwa aus schuldigem Respekt vor Hokusais berühmten Kräuselwellenschaumkronen. Dem Mann selbst begegnet man hier hingegen nicht übertrieben ehrfürchtig - die Heldin des Films, seine Tochter O-Ei, sagt von ihm, er rauche nicht, er trinke nicht, aber da er unter anderem erotische Kunst erschaffe, sei wohl anzunehmen, dass er zumindest die Frauen möge (wer japanische Comics und Trickfilme, also Manga und Anime, liebt, weiß auch, dass ein sehr bekanntes Hokusai-Tintenfischbild zu den Quellen heutiger Hentai-Ferkeleien, insbesondere des Subgenres „Tentakelporno“, zählt).
O-Ei ist eine überaus anziehende Figur, mit starken Wangenknochen und buschigen Augenbrauen, ein bei der Arbeit erworbener Tuschefleck auf der Wange schmückt sie süßer als die raffinierteste Schminke. Beim Rennen stößt sie Atemdampfwolken aus, ansonsten ist ihr Mund meistens ein bisschen schief, weil sie entweder lächelt oder etwas missbilligt. Wenn sie isst, bewegt sich die Unterlippe wie eine Raupe, die Richtung Sonne krabbelt. Ist O-Ei erschöpft, dann legt sie den Kopf auf die Knie, bezaubernd müde Anmut. Der Film schenkt ihr die vorsichtige Andeutung einer Liebesgeschichte, dezent wie der Duft von Haaröl, und mutet ihr eine chininbittere Tragödie zu.
Irrwege des Effektkinos
Beides ist eingebettet in Bild- und Tonräume aus eleganten Linien, raffinierten Tönen, kräftigen Farben, es rascheln schwere Roben, Menschenmengen murmeln, Feuer prasselt, Schnee knirscht unter Sandalensohlen, und die winzigen Flügel der Motten, die um eine Papierlaterne taumeln, flattern so gerade noch hörbar.