Video-Filmkritik : Eine Liebe von Dickens
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Bild: Sony Pictures
In „The Invisible Woman“ stand Ralph Fiennes sowohl vor als auch hinter der Kamera. Seine Darstellung von Charles Dickens ist eine Show, seine Regiearbeit dagegen schwach.
Mit Kostümfilmen ist es wie mit Pralinen: Nicht immer sind die dicksten auch die besten. Insofern gibt es gleich mehrere Gründe, sich auf „The Invisible Woman“ von Ralph Fiennes zu freuen: Der Film hat nicht nur einen sehr schlanken Plot (es geht um die späte Liebe des Schriftstellers Charles Dickens zu einer jungen Frau, wie sie die Dickens-Biographin Claire Tomalin in einem Buch von 1991 beschrieben hat), sondern auch sehr übersichtliche Schauplätze (außer einem kurzen Ausflug ins französische Landleben spielen alle Szenen in England).
Und er verfügt mit Felicity Jones in der Hauptrolle der Nelly Ternan, vor allem aber mit Fiennes selbst als Dickens und mit Kristin Scott Thomas als Nellys Mutter Catherine über Schauspieler, denen man auch die puderquastigste Geschichte glauben würde, besonders, wenn sie mit so viel Taktgefühl und Gelassenheit ausgebreitet wird wie hier.
Es gibt aber außer der Gefahr des Aufgeblähten und Pompösen, der dieser Film souverän entgeht, noch eine zweite, ebenso große Versuchung im Kostümkino: die Versuchung, das, was man eigentlich zeigen und erzählen müsste, unter den Kostümen zu begraben. Und in diese Falle ist Fiennes in seiner zweiten Regiearbeit (nach der überdrehten Shakespeare-Adaption „Coriolanus“) leider mit Siebenmeilenstiefeln hineingetappt.
Die junge Nelly lernt den alten, schon hochberühmten Dickens kennen, als sie mit ihrer Mutter und ihren Schwestern in einem seiner Theaterstücke mitwirkt. Es dauert eine Weile, bis sie entdecken, dass sie sich lieben, und noch länger, bis sie ein Paar werden. Dann aber steht einem Zusammenleben nichts mehr im Wege – außer einer beleibten Matrone (Joanna Scanlan), mit der Dickens zehn Kinder, aber kein gemeinsames Gesprächsthema hat.
Warum also lässt er sich nicht scheiden? Um das zu erklären, müsste man die reale und moralische Welt des viktorianischen Zeitalters ein Stück weit filmisch entfalten, ungefähr so, wie es der alte Francis Ford Coppola, ein Dickens des Kinos, vor zwanzig Jahren in seiner cleveren „Dracula“-Paraphrase gemacht hat. Das aber spart sich Fiennes. Nicht aus Budgetgründen, sondern aus falscher erzählerischer Ökonomie.
Allerdings, es gibt eine Szene, in der Dickens seine Geliebte zu seinem Freund und Mitarbeiter Wilkie Collins mitnimmt, der mit einer Frau eine, wie man früher sagte, „wilde“ Ehe führt, und Nelly empört zurück in die wartende Kutsche flüchtet. Aber sie ist so unbeholfen und fahrig inszeniert, dass man sich fragt, ob der große Ralph Fiennes wirklich gut daran getan hat, bei „The Invisible Woman“ nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera zu stehen. Denn als Dickens ist er wirklich eine Schau. Was man für den Film nur mit Einschränkungen sagen kann.