Filmkritik „Birth of a Nation“ : Onkel Tom wohnt hier nicht mehr
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Entsetzliche Verhältnisse
Aber so ist es nicht. Auch Quentin Tarantino hat sich in „Django Unchained“ dieser Bilder bedient, um sie dann explodieren zu lassen. Steve McQueen hat dieselben Bilder in „12 Years a Slave“ vergiftet, indem er seinen Helden für eine lange Zeit an die Trauerweide hängte, nur mit der Schuhspitze auf einem Hocker abgestützt. Parker tut nichts dergleichen. Er benutzt die Klischees, ohne zu wissen, was er mit ihnen anfangen soll.
Ein Blick über die Baumwollpflanzen markiert einen gewaltigen Zeitsprung zu Nat, dem Erwachsenen. Er predigt zu seinen Leuten, er ist überzeugend. So sehr, dass sein „Besitzer“ Samuel Turner (Armie Hammer) mit ihm ein neues Geschäftsmodell einführt: mit Nat über die Plantagen zu ziehen und ihn als Priester zu vermieten, um aufmüpfige Sklaven mit Gottes Hilfe gefügig zu machen. Bei diesen Gelegenheiten lernen Nat und mit ihm der Zuschauer die entsetzlichen Verhältnisse auf unterschiedlichen Plantagen kennen. Hunger, Folter, Vergewaltigung. Und den Sklavenmarkt. Als das schwer misshandelte Mädchen Cherry (Aja Naomie King), vom Händler ziemlich unverhohlen als tauglich für weitere Vergewaltigungen angepriesen, zum Verkauf aufgerufen wird, sorgt Nat dafür, dass Samuel Turner sie kauft. Für ihn, wie wir ahnen, der sie natürlich nicht vergewaltigt, sondern heiratet.
Kein Grund zu applaudieren
Das ist ekelhaft. Aber Parker sieht das gar nicht. Er ist so verliebt in seinen Helden, dass er die Frauen, die ihn umgeben, in Bewunderung dahinschmelzen lässt, seien es die Mutter, die Großmutter, selbst Elisabeth Turner, Samuels Frau, kann ihre Augen nicht von ihm wenden. In ihrem tränenumflorten Blick kündigen sich ihr und sein Schicksal bereits an. Später wird Cherry ein weiteres Mal von weißen Wachmännern vergewaltigt und zusammengeschlagen werden, und die Frau eines anderes Sklaven wird im Herrenhaus vergewaltigt. Parker schaut diskret weg und zeigt uns vor allem, wie die Männer reagieren: wie Besitzer, deren Eigentum beschädigt wurde und die sich deshalb zum Rachefeldzug zusammenfinden. Doch die übernatürlichen Kräfte des Herrn, die Nat in sich spürt, führen den Aufstand in die Katastrophe. Während Nat am Galgen hängt, schweift sein Blick über die johlende Masse der weißen Zuschauer und die versteinerten Gesichter der schwarzen Sklaven, um sich schließlich gen Himmel zu drehen, ein letztes Mal zu seinem Gott, der ihn verlassen hat.
„Birth of a Nation“. Der Titel bedeutet: Diese Nation wurde aus Rassismus geboren. Aus dem Geist der Sklaverei, der weißen Macht über schwarze Körper, schwarze Leben. Wenn man heute auf die Zustände in den Vereinigten Staaten schaut, gibt es keinen Grund, nicht immer wieder mit Nachdruck und Leidenschaft daran zu erinnern. Macht dieser Umstand aus einem Film, der sich mit dieser Geschichte beschäftigt, etwas besonders Hehres, Wichtiges, Unfehlbares? Nein. Nate Parkers Film mit dem anspielungsreichen Titel – D.W. Griffiths Stummfilm gleichen Namens erzählte die Geschichte eines Klansman und sorgte für die Neugründung des Ku-Klux-Klans, der sich um 1870 eigentlich aufgelöst hatte –, ist kein guter Film. Es ist noch nicht einmal klar zu erkennen, wie gut seine Absichten sind. Er macht aus einer grausamen Geschichte ein fragwürdiges Agitprop-Heldenepos. Kein Grund zu applaudieren.