Tom Fords „Nocturnal Animals“ : Ein amerikanischer Albtraum
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Der britische Schauspieler Aaron Tylor-Johnson, amerikanische Regisseur von „Nocturnal Animals“ Tom Ford und die Schauspielerin Amy Adams gemeinsam mit Jake Gyllenhaal auf dem Internationalen Filmfestival in Venedig. Bild: dpa
Er badet in Texas, sie badet in L.A.: Tom Fords zweiter Film „Nocturnal Animals“ ist gleichzeitig zu dumm und zu klug für seinen verschachtelten Stoff.
Eine Luxusvilla in den Hügeln oberhalb von Los Angeles. Außen. Nacht. Die Galeristin Susan kann nicht schlafen. Ruhelos wandert sie zwischen ihren Designermöbeln umher, an ihrem Pool, über dem die Dämmerung wie ein Leichentuch hängt. Dann öffnet sie das Manuskript, das ihr Ex-Mann, ein Schriftsteller, ihr geschickt hat, und beginnt zu lesen. Sie war seine große Liebe. Dies ist sein erster Roman. Und wieder ist es Nacht, und ein Albtraum beginnt, eine Geschichte, die von Gewalt und Tod handelt, von Rache und Erlösung.
Das Festival am Lido ist durch eine unsichtbare Nabelschnur mit der Filmstadt in Kalifornien verbunden. Drei Oscar-Gewinner der jüngsten Zeit, „Gravity“, „Birdman“ und zuletzt „Spotlight“, feierten ihre Premieren in Venedig. Das liegt nicht am Wetter oder der Schönheit der Stadt, sondern an der Jahreszeit. Im September ist in Amerika die Zeit der Blockbuster vorbei, das Sommergeschäft geht zu Ende, die leiseren Filme bekommen ihre Chance. Vor Weihnachten entscheidet sich, wer die besten Aussichten auf einen Golden Globe oder Oscar hat.
Tom Ford, der im Jahr 2010 für seinen Erstling „A Single Man“ nominiert war, wird diesmal wohl nicht dabei sein. Nicht deshalb, weil sein zweiter Film weniger schön oder aufregend oder routiniert wäre als der erste. Sondern weil seine Schönheit ins Leere geht.
Chance verpasst
Der Autor des Romans im Film heißt Edward, und die Geschichte, die er erzählt, ist eine Angstphantasie, in der er sich ausmalt, was geschehen wäre, wenn er mit Susan eine Tochter gehabt und auf einem dunklen Highway in Texas den Weg dreier Psychopathen gekreuzt hätte. Jake Gyllenhaal spielt den Erzähler und seine Hauptfigur, während die Galeristin von Amy Adams, die Frau im Roman dagegen von Isla Fisher verkörpert wird. Die doppelte Rollenbesetzung erzeugt eine Dissonanz, die der Film beinahe zum Klingen bringt. Susan tritt nie ganz in Edwards Phantasiewelt ein. Sie kämpft darum, in ihrer eigenen Welt zu bleiben, einem Schattenreich aus morbider Pseudokunst und noch morbideren Kunstmenschen. Und zugleich sehnt sie sich zurück an jenen Punkt in ihrem Leben, an dem sie falsch abgebogen ist, zurück an den Tag, an dem sie Edward verlassen hat. Zuletzt sitzt sie an einem Tisch im Restaurant und wartet auf ihn. Sie wartet vergebens.
Aber auch der Film verpasst seine Chance. Er erzählt eine Geschichte und dann noch eine, aber er bringt sie nicht zusammen. Die Bilder, die als visueller Klebstoff zwischen die Handlungsblöcke montiert sind - er badet in Texas, sie badet in L.A.; er weint im Roman, sie weint beim Lesen - halten nicht, weil die Emotionen zwischen ihnen nicht überspringen. Vielleicht war es doch keine gute Idee, die zwei Frauenrollen mit verschiedenen Schauspielerinnen zu besetzen. Im Kino darf man nicht zu klug sein. „Nocturnal Animals“ ist zu klug und gleichzeitig zu dumm für seinen Stoff.
Obszöne Momente
Das gilt auch für den Look des Films. Tom Ford hat als Kreativdirektor bei Gucci Karriere gemacht, 2006 gründete er sein eigenes Mode-Label. Einige der Werbespots, die er dort und bei Gucci in Auftrag gab, waren wegen ihrer sexistischen Ästhetik umstritten. Auch in „Nocturnal Animals“ gibt es zweimal nackte Frauenkörper zu sehen, und einer dieser Momente gehört zu den obszönsten, die es bisher auf diesem Festival gab. Denn die Frau und die Tochter von Jake Gyllenhaals Romanfigur werden von ihren Mördern und Vergewaltigern wie ein Liebespaar auf einem Sofa arrangiert, eng umschlungen im Tod.
Mag sein, dass es die literarische Vorlage - der Film entstand nach einem Buch von Austin Wright - so gewollt hat. Aber das, was ein Regisseur uns erzählt, ist die eine Sache, und eine andere, was er uns zeigt.