Film „The Card Counter“ : Frag nur nie, um was wir spielen
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Das ist schon kein bloßer Schauspieler mehr, das ist ein Schauzocker: Oscar Isaac am Tisch, auf dem Träume sterben Bild: Weltkino
Karten, Herzen, Folter, Tod und Teufel: Mit „The Card Counter“ hat Paul Schrader einen der besten Filme übers Risiko gedreht, die je ins Kino kamen.
Er sei nichts als ein amerikanischer Junge und daher biegsam genug, sich jederzeit schnell an neue Umstände zu gewöhnen, erklärt der Spieler mit dem fast ein bisschen zu vieldeutigen Namen „William Tell“ (ein „tell“ ist im Englischen unter anderem ein verräterisches Zeichen, das merken lässt: Hier blufft jemand am Kartentisch), dem Oscar Isaac in Paul Schraders Film „The Card Counter“ sein attraktives Gesicht leiht. Dieses Gesicht, eins der wenigen im heutigen Kino, die den Namen „Hollywoodstar“ verdienen, war noch nie schwerer zu lesen als zu Beginn dieses Films, aber andererseits auch noch nie so offen und ungeschützt vom eigenen Schicksal sprachlos gemacht wie an seinem Ende. Es geht in „The Card Counter“ um eine Welt höchstmöglicher Einsätze, teils aus Verzweiflung, teils aus Langeweile.
Oscar Isaac erklärt als Tell eingangs wie im Seminar, auf welche Sorte Geschicklichkeit er sich als Kartenzähler, also mathematischer Gladiator, für seinen Hasardeurs-Lebensunterhalt verlässt. Die Ausrichter der bestbezahlten Spiele haben, sagt er, nichts gegen kalte Sieger wie ihn, nur zu groß dürfen die Gewinne nicht ausfallen. Wirklichkeit heißt in diesem Film also Wahrscheinlichkeit, nicht Wahrheit.
Schicksalsbegriff der antiken Tragödie
Der Spieler sorgt in diesem Sinn dafür, dass ihm nichts zu nahe rückt, dass keine Frage sich zu deutlich stellt: Er macht die anonymen Hotelzimmer, in denen er lebt, durch Verhängung von Möbeln noch anonymer und weicht dem Jungen Cirk, der ihn als Mentor, Vater, Lehrer will, einerseits aus, behält ihn aber andererseits bei sich, in einer Äquidistanz-Ausweichbewegung, die schließlich nicht verhindern kann, sondern gerade bewirkt, dass sich zwei schlechte Vergangenheiten ineinander verheddern, seine und die des Jungen. Der hilflos beharrliche Charme, den Tye Sheridan als Cirk gegen dieses Verhängnis zu setzen sucht, macht natürlich alles nur noch schlimmer.
Filme, die den Schicksalsbegriff der antiken Tragödie in moderne Ideen von Strategie, Glück, Dezision und Spiel übersetzen, lassen sich seit Norman Jewisons „Cincinnati Kid“ (1965) mit Steve McQueen und Edward G. Robinson gern in Situationen locken, die Menschen dabei zeigen, wie sie sich über ihre eigenen Absichten und Aussichten mutwillig täuschen, unter bewusstem Missbrauch der existenziellen Frivolität des Spiels und seiner bunten Statisterie, die sie als Aufputsch- und zugleich Beruhigungsmittel verwenden (in „The Card Counter“ etwa hüpft ein verrückter „Mister USA“ als Turnierzocker herum, der mit penetrantem Enthusiasmus für alles Amerikanische den Umstand überbrüllt, dass er aus Osteuropa kommt und sein einziges Zuhause eine Website ist).
William Tell will, dass alles an ihm abgleitet, was kein Spiel ist, selbst die Liebe und sein Todfeind. Die Liebe heißt La Linda und ist die bislang größte darstellerische Leistung der von den Komödien, in denen sie häufig spielt, meist sichtlich unterforderten Schauspielerin Tiffany Haddish. Gibt es etwas wie „warmherzige Abgebrühtheit“? Jetzt ja, denn so funktioniert diese Rolle – La Linda fragt Tell, worum er eigentlich spiele, Tell antwortet: „It passes the time“, es bringt die Zeit rum, und weil so ein staubtrockenes Statement genau das ist, was Bogart an dieser Stelle gesagt hätte, antwortet La Linda genau das, was Lauren Bacall jenem hätte antworten müssen: verbring doch „some time with me“ – wenn’s nur um leere Zeit geht, die können wir auch zusammen vernichten. Eine große Chance für zwei illusionsarme Erwachsene also (in unfassbar zarten, glühwürmchenintimen Bildern angedeutet, als Spaziergang in einem botanischen Garten), wäre da nicht der Todfeind.