: Stephen Norringtons Zitatkunststück "Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen"
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Die ersten fünfzehn Minuten des Films „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ sind hinreißend, ein Parforceritt durch die phantastische Literatur. Doch dann geht der Schwung verloren; nur am Ende macht der Film wieder Spaß.
Das Empire braucht Allan Quatermain. Allerdings den wahren, den, dessen Abenteuer der viktorianische Vielschreiber H. Rider Haggard in vierzehn Romanen erzählte. Haggard beschreibt seinen Helden als sehnigen, durchtrainierten Nationalisten mit einem Kinn, das die Habsburger vor Neid erblassen lassen könnte. Ja, die großen Drahtigen, die halten was aus. Gar nicht brauchen kann das Empire dagegen den verplauderten, etwas fülligen Senior, der sich in einem kenianischen Kolonialhotel gegenüber dem Abgesandten der Krone als Allan Quatermain ausgibt. Die Enttäuschung ist groß. Um dieses Alterchen hat man solch ein Geschrei gemacht?

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Fünf Minuten später ist der sympathische Rundbauch tot, erschossen von eisenharten Kerlen. Der kundige Leser wundert sich: Quatermain starb zwar laut Haggard tatsächlich an einer Lungenverletzung, aber bereits 1887, während der Film seine Zuschauer als allererstes darüber informiert hat, daß wir uns im Jahr 1899 befinden. Jahrhundertwende, Fin de siecle, Epochenschwelle - kein Wunder, daß alles drunter und drüber geht. In London knackt der erste deutsche Panzer eine Bank, in Berlin sabotiert ein britisches Expeditionscorps das geheime Zeppelinprojekt des Reiches. Die Zeitungen schäumen wechselseitig über die germanischen Parvenüs oder das perfide Albion. Der Weltkrieg droht. Die Staaten sammeln ihre besten Mannen. Da wird in Kenia Allan Quatermain ermordet.
Der Anfang des Films "Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" ist ein Wunder an Eklektizismus und Selbstironie. Fünfzehn hinreißende Minuten mit allem, was das Kino sehenswert macht. Weil sich diese Viertelstunde einerseits in der Handlung von der enigmatischen und denkbar voraussetzungsreichen Vorlage löst - dem gleichnamigen Comic des Texters Alan Moore und des Zeichners Kevin O'Neal -, andererseits dessen Grundzug beibehält: Wir sehen einen Parforceritt quer durch die Welt der phantastischen Literatur. Allein die Liga selbst besteht schon neben Quatermain (der wohl doch länger lebte, als Haggard ihm zugestehen wollte) aus Jules Vernes Kapitän Nemo, aus Robert Louis Stevensons Doktor Jekyll (und natürlich Mr. Hyde), aus H.G. Wells' "Unsichtbarem Mann" und - als weibliches Element der Gentlemen - aus Mina Harker, dem Opfer von Bram Stokers Dracula.
So will es Alan Moore im Comic. Dem Film ist das noch nicht genug. Er ergänzt das Team der abenteuerlichen Herzen um Oscar Wildes Dorian Gray und den erwachsenen Tom Sawyer (auf daß das amerikanische Publikum nicht nur lauter Alteuropäer auf Weltrettungsmission zu begleiten habe). Am Rande tritt dann noch ein Bootsmann namens Ishmael auf. Diese Ergänzungen sind schön gewählt; da kann man verschmerzen, daß gegenüber der Vorlage so schöne Figuren wie Mycroft Holmes, der Bruder Sherlocks, oder der Groschenheftschurke Fu Manchu fehlen - gar nicht gerechnet die unzähligen beiläufig erwähnten populären Prosahelden wie John Melmouth, Münchhausen, Jack Harkaway und so weiter, die Moore und O'Neal in ihrer Geschichte um die "Liga der ehrenwerte Gentlemen" unterbrachten.