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Monica Vitti wird 90 : Die Göttin der Moderne

Monica Vitti in Michelangelo Antonionis Film „La Notte“ von 1961 Bild: Allstar/Nepi Film/United Artists

Die italienische Schauspielerin Monica Vitti hat einen neuen Typus der Kinoheldin erfunden: modern, kühl, den Männern weit voraus. An diesem Mittwoch wird sie neunzig. Ein Glückwunsch.

          3 Min.

          Wie eine der schönsten, schwierigsten und rätselhaftesten Liebesaffären der Filmgeschichte schließlich zu Ende ging und was von ihr geblieben ist: Das kann man heute noch besichtigen, im Norden Sardiniens, an der Costa Paradiso, wo auf einem Felsen über dem Meer das eigenwilligste Gebäude der ganzen Insel steht, ein Haus, das sie noch immer „la grande cupola“ nennen. Anfang der Siebziger hatte der Regisseur Michelangelo Antonioni es errichten lassen, für sich und seine Geliebte Monica Vitti, eine Betonschale, die von außen so aussah, als ob sie mit den entsprechenden Triebwerken auch bis zum Mond fliegen könnte. Und innen sah alles so kühn und futuristisch aus, als wollten die beiden in ihrem Leben die Modernität ihrer Filme noch übertreffen.

          Claudius Seidl
          Redakteur im Feuilleton.

          Das Haus war aber kaum fertig, da trennten sich die beiden; Monica Vitti zog aus, Michelangelo Antonioni verkaufte das Gebäude irgendwann, und während die Cupola langsam verwahrloste, konnten sich die Erben des neuen Besitzers nicht einigen, ob sie es verkaufen oder renovieren sollten. Heute steht man vor einer eindrucksvollen Ruine und meint ein Museum verblasster Träume zu sehen, das Mahnmal einer Moderne, die glaubte, sie könne selbst das Leben und die Liebe völlig neu erfinden.

          Angefangen hat es damit, dass der Mann die Frau einfach von hinten angeredet hat. Monica Vitti saß in einem Synchronstudio, Antonioni kam, unbemerkt von ihr, herein. Und sagte: Du hast einen schönen Nacken. Du solltest in Filmen spielen. Dabei war Monica Vitti längst Schauspielerin. Mit vierzehneinhalb, so hat sie einmal in einem Interview erzählt, war sie ihres Lebens eigentlich überdrüssig. Bis sie erkannte, dass sie Schauspielerin werden könnte, was womöglich ihre Rettung war. Und was ihr umso leichter fiel, als ihre Familie, von der sie sich unterdrückt und geringgeschätzt fühlte, nach Amerika umzog, als sie achtzehn war. Und sie zuhause in Rom tun konnte, was sie wollte.

          Filmen bei offenem Herzen

          Es war aber Antonioni, es war der Film „L’Avventura“, der sie berühmt machte und ihn auch. Es war dieser Film, der eigentlich keine Handlung hatte, nur Szenen, Körper, Gesten, große Gefühle, altmodische Männer und sehr moderne Frauen. Als der Film in Cannes seine Premiere hatte, buhten, pfiffen, schimpfte die Leute im Publikum so laut, dass eine Gruppe von Filmemachern und Kritikern, angeführt von Roberto Rossellini, eine Stellungnahme veröffentliche, die den Ignoranten erklärte, dass sie gerade ein Meisterwerk des modernen Kinos ausgepfiffen hatten.

          Es war dann aber nicht der Nacken Monica Vittis, worauf sich die Inszenierung konzentrierte. Es waren auch nicht nur ihre sachlichen Gesichtszüge, ihr abschweifender Blick, ihre eleganten, selbstbewussten Bewegungen. Es war der Versuch, ihr so lange und so intensiv zuzuschauen, bis sich der Blick in ihr Herz öffnen würde. Wobei man, gerade in „L’Avventura“, gerade in des Szenen auf der rauen, felsigen Insel Lisca Bianca, manchmal denkt, dass es eigentlich Antonioni ist, der hier bei offenem Herzen inszeniert.

          In einer Hommage an Monica Vitti hat die Filmessayistin Laetitia Masson bekannt, dass sie eigentlich Männer möge – aber sobald Monica Vitti auf der Leinwand erscheine, verstehe sie, dass man diese Frau begehren müsse. Und dass das vermutlich daran liege, dass Antonioni letztlich nur sein Verlangen nach Monica Vitti inszeniert habe. Das stimmt schon, irgendwie. Und kann doch allein die Wirkung und die bis heute völlig unbeschädigte Modernität dieser Filme nicht erklären.

          Manchmal, in den besten Szenen von „L’ecclisse“, glaubt man, in Monica Vittis Präsenz eine zauberhafte Unverständlichkeit zu erkennen, die Einsicht des Mannes Antonioni, dass er der Modernität dieser Frau nie folgen kann. Manchmal, wenn ihre gerade Nase im Profil fotografiert wird, scheint sie einer lebendig gewordenen antiken Göttinnenstatue zu gleichen – was womöglich der Versuch Antonionis ist, sich als Vittis Pygmalion zu behaupten.Und manchmal, das sind die besten Momente, spürt man einfach, dass Monica Vitti die Autorin ihrer selbst ist. „Es ist so schön hier“, sagt sie in „L’eclisse“ auf der Terrasse einer Flughafenbar, wo sie den Sportflugzeugen beim Starten und Landen zuschaut.

          Entfremdung kann so schön sein

          Es gehe in all diesen Filmen um Entfremdung und Vereinzelung: Darin waren sich die Kritiker schon immer einig, und auch Monica Vitti hat in Interviews gern von „alienazione“ gesprochen. Stimmt ja auch, nur dass es nicht unbedingt kritisch gemeint war. Monica Vitti, wie sie am Flugplatz herumsitzt oder durch römische Neubauviertel schreitet: Das ist die kategorische Absage an jede fellinieske Italianità. Und die Feier einer futuristischen Schönheit und Poesie, für deren Genuss man sich eben etwas anstrengen muss.

          In den Siebzigern hatte sie dann trotzdem genug davon, immer nur die Göttin des modernismo zu spielen. Sie war halt auch menschlich, italienisch, albern und sehr komisch, eine Frau, die mit rauer Stimme derbe Witze machen konnte. Wie sie sich, nach all der hohen Kunst, nur auf die bodenständigen Komödie einlassen konnte, die garantiert keinen Eintrag in die Filmgeschichte bekommen, wurde sie gefragt. Und sie antwortete: weil es ihr ein Vergnügen sei. Und weil sie erkannt habe, dass es eine mindestens so anspruchsvolle Kunst sei, die Leute zum Lachen zu bringen. Wobei man, nur zum Beispiel, Ettore Scolas polygame Komödie „Dramma della Gelosia“ gern einmal wiedersehen würde.

          Im Jahr 2002 hat sie sich zurückgezogen aus der Öffentlichkeit. Sie sei nicht besonders gesund, heißt es; und nicht nur deshalb möchte man ihr an diesem Mittwoch, zu ihrem neunzigsten Geburtstag, das Allerbeste wünschen.

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