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Regisseur Michael Mann wird 80 : Das unverkäufliche innere Feuer

Regisseur Michael Mann Bild: Getty

Dass die Bilder cool sind, muss nicht bedeuten, dass der Geist, den sie atmen, nicht glüht – ganz im Gegenteil: zum Achtzigsten des Filmregisseurs Michael Mann.

          3 Min.

          Wer im Genre arbeitet, wie Michael Mann das tut – Thriller („Heat“ und viele andere), Horror (darunter „Manhunter“), Abenteuer (wie „Der letzte Mohikaner“) –, für den ist in der Regel das Kino der Bezugspunkt. Michael Mann aber geht es nicht ums Kino. Es geht ihm nicht einmal ums Genre: „Wenn ich einen Film über Diebe drehe“, so sagte er einmal, „schaue ich nicht Melvilles ‚Eiskalten Engel‘, sondern sehe ich zu, wie ich einen Dieb kennenlerne.“

          Verena Lueken
          Freie Autorin im Feuilleton.

          Er verehrt Jean-Pierre Melville, und er vermutet, auch der hatte Kontakt zu Dieben. Nach Lieblingsfilmen gefragt, antwortet er: „Apocalypse Now“. „Panzerkreuzer Potemkin“. „Raging Bull“. Nicht überraschend. Aber auch: „Letztes Jahr in Marienbad“ und „Jeanne d’Arc“. Es ist oft ein weiter, verschlungener Weg von dem, was man liebt, zur eigenen Kunst.

          Michael Mann ist Jahrgang 1943, er kommt aus Chicago. Nach einem Filmstudium in London ist er in Europa geblieben. Schon damals – in der zweiten Hälfte der Sechziger – drehten amerikanische Studios wegen der großzügigen Subventionen gern in England, und Michael Mann kam zur 20th Century Fox, wie das Studio zu jener Zeit noch hieß. Dort lernte er alles übers Filmemachen, über Drehbücher, Budgetierung, Produktionsabläufe. Später hat er fürs amerikanische Fernsehen in Paris den Mai ’68 beobachtet.

          Kalte Farben gegen warmes Sonnenlicht

          Er kommt also vom Dokumentarischen her. Nicht aus der Werbung, wie immer wieder über ihn zu lesen ist. Dieses Missverständnis hat mit seiner Ästhetik zu tun, wie er sie vor allem seit der Fernsehserie „Miami Vice“ (die er produziert hat) auch in seinen Kinofilmen entwickelt hat: diese hochglanzpolierten Oberflächen seiner Bilder, die Coolness vieler seiner Figuren, die kalten Farben gegen das warme Sonnenlicht, die monochrom eingefärbten Stadtansichten, die minimalistisch wirkenden Details, bevor die klar choreographierte und unter Umständen bombastische Action losgeht.

          Michael Manns Ästhetik ist allerdings – anders als jede Werbeästhetik – niemals Selbstzweck. Sie will uns nichts verkaufen, sondern uns eine Welt erschließen, die sich aus der Wirklichkeit speist. Er ist kein Stilist. „Stil beginnt“, sagt er, „wenn die Form verwaist, weil der Inhalt verschwunden ist. Meine Haltung setzt ein Publikum voraus, das als ein extrem empfindsamer Organismus in einem dunklen Raum sitzt, und alles hat seine Wirkung.“ Darauf kommt es ihm an. Auf Wirkung statt auf Knalleffekt.

          Die Entstehung von „Heat“

          Michael Mann interessiert sich für die Welt, nicht für Formeln. Das gibt seinen Filmen ihre dichte Textur. Am deutlichsten wird das in „Heat“, einem seiner vielen besten Filme. Fast ein Vierteljahrhundert hat er an ihm gearbeitet.

          Es begann mit der Begegnung mit einem Polizisten in Chicago, der die Geschichte so oder so ähnlich erlebt hatte: dieses Tauziehen zwischen zwei Männern, die einander ähnlich sind, getrennt einzig vom Gesetz. Einige Jahre später, 1979 nämlich, hatte Mann bereits ein dickes Drehbuch geschrieben. Ein komplexes Ding, kompliziert zu drehen, teuer auch. Was schließlich dabei herauskam, ist in der Struktur der Geschichte, den Charakteren und visuellen Motiven so eng gewebt, so brillant verfugt, so in Stahl gehärtet, dass es unzerstörbar wurde: ein Kultfilm. Aber darüber liegt die Musik von Elliot Gol­denthal und Brian Eno, derart transparent gespielt vom Kronos Quartet, dass man durch sie hindurchzusehen meint.

          Zwischen dem ersten Drehbuchentwurf und der Fertigstellung von „Heat“ (er kam 1995 heraus) hat Mann sein gesamtes Frühwerk geschaffen bis hin zum „Letzten Mohikaner“. Es war dessen Erfolg, der es ihm ermöglichte, die „Heat“-Idee zu verwirklichen – an etwa hundert Drehorten, sämtlich in Los Angeles. Mann inszeniert diese Stadt – zuvor in „The Thief“, später in „Collateral“ zum Beispiel – immer wieder als Mitspielerin, wie er es in „Miami Vice“ mit Miami gemacht hat und bei „Public Enemy“ mit Chicago. In „Heat“ steht Robert De Niro einmal am Fenster seiner leeren Wohnung mit Blick auf den Pazifik und sagt, eines Tages werde er so das phosphoreszierende Plankton auf den Fidschi-Inseln beobachten.

          Nur an diesem Ort in den Hollywood Hills, mit diesem Blick kann aus einem solchen Trugbild eine Sehnsucht werden. Es sind solche Dinge, die Michael Mann weiß.

          Seine Filme über Diebe, Mörder oder Krieger sind meistens Beziehungsfilme, was die Sache deutlich komplizierter macht. Es geht um die Faszination zwischen Menschen, die auf jeweils gegenüberliegenden Seiten stehen, des Gesetzes oder des sozialen Gefüges. So kommt die Ambivalenz ins Spiel.

          Sie sorgt dafür, dass diese Filme weder altern noch beim wiederholten Sehen langweilig werden. Im Kampf zwischen den Männern geht es nicht um Gut und Böse. Die immer wieder betörenden Gegensätze sind eher Plan, Effizienz, Disziplin im Gegensatz zu In­stinkt und Gefühl. Michael Mann wird am 5. Februar achtzig.

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