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Dokumentarfilm „Raving Iran“ : Aus der Wüste dröhnt die Freiheit

  • -Aktualisiert am

Die iranischen DJs Anoosh und Arash nennen sich „zusammen Blade & Beard“. Bild: Rise and Shine Cinema Berlin

Techno-Musik in Iran? Der ungewöhnliche Dokumentarfilm „Raving Iran“ begleitet zwei DJs bei dem Versuch, ihr Elektro-Album in der Heimat zu vermarkten bis hin zur einmaligen Chance, dem strengen Regime zu entfliehen.

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          Klinge und Bart, das wird einige Herren in der Behörde gar nicht amüsieren. Englische Schrift geht auch nicht. Noch nicht einmal „Made in Iran“? Doch, das schon, meint die Dame im Erschad, dem Ministerium für Kultur und islamische Führung, so werde das Land ja positiv dargestellt. Eine Hardlinerin ist sie ohnehin nicht, die Beamtin, der das DJ-Duo Anoosh und Arash, Künstlernamen „Blade & Beard“, sein neues CD-Cover zur Genehmigung vorlegt. Jeder wolle zum Beispiel Frauen singen hören, ganz klar. Aber keine Chance, so ist es nun einmal.

          Der Abschlussfilm von Susanne Regina Meures an der Zürcher Hochschule der Künste erzählt viel mehr von Iran als vom Rave. Er ist ein Dokumentarfilm übers Verhandeln, übers Warten, übers Grübeln, über Streit und Schlupflöcher. Anoosh und Arash suchen nach einer Druckerei, die das ungenehmigte Cover drucken würde, dann nach einem Geschäft, dessen Inhaber sich traut, das Album auszulegen. Die meisten, so scheint es, würden tatsächlich gerne, lassen die beiden aber dann doch abblitzen. Bis ein Verkäufer „Blade & Beard“ in seine Routine aufnimmt: Oben in den Regalen steht unverfängliche Klaviermusik, unter dem Ladentisch dröhnt, brummt und brodelt es. Welch ein schönes Bild für das Alltagsleben in der Klerikaldiktatur.

          Wirklichkeit hämmert mit 180 bpm

          Dieses Bild allerdings zeigt sich wie viele andere: schräge Perspektive, verwackelt, grobpixelig, die meisten Gesichter sind unkenntlich gemacht. Durch ein kleines Loch in Arashs Brusttasche filmte eine iPhone-Kamera die Odyssee durch Büros und Läden. Meures berichtete in Interviews, sie habe die Speicherkarte ihrer eigenen Kamera immer wieder ausgetauscht, Touristenbildchen rein, Filmaufnahmen in den BH.

          Solche Guerrillageschichten sind wie jede Einstellung des fertigen Films Teil einer Gesamterzählung, die Wirklichkeit, Wirklichkeit, Wirklichkeit hämmert mit 180 bpm. Nun ist dieser Begriff nicht nur in der Dokumentarfilmtheorie aus der Mode geraten, wo man längst lieber von „Authentizität“ spricht, um dem nicht nur ordnenden, sondern auch gestaltenden, inszenierenden Zugriff der Filmemacher gerecht zu werden. Der kurdisch-iranische Regisseur Bahman Ghobadi etwa legte 2009 „Niemand kennt die Persian Cats“ (F.A.Z. vom 18. Mai 2009), ein Porträt der Teheraner Undergroundszene, offen fiktionalisiert an, unterbrach den Fluss der Handlung durch Musikvideos und animierte Sequenzen.

          Wo man tun darf, was man liebt

          Bei Meures hingegen zeigt sich keine dokumentarische Ratlosigkeit, kaum ein Eingeständnis des Zweifels an ihrer investigativen Methode. Das macht ihren Film bei aller Sprunghaftigkeit zwischen den Szenen, bei allem Ungehobelten in der Ästhetik zu einer erstaunlich geschlossenen Erzählung, die klar auf einen Höhepunkt hin strukturiert ist: Anoosh und Arash werden auf ein Festival nach Zürich eingeladen, was nicht nur einen großartigen musikalischen Erfolg bedeutet, sondern auch eine realistische Chance, den Restriktionen der Heimat zu entfliehen. Für immer.

          Die Schweizer Botschaft, wo die beiden sich um ihre Visa bewerben müssen, ist der einzige Ort im Film, den niemand mit eingeschalteter Kamera betritt. Doch nicht einmal am Ziel der Reise, nicht einmal dort, wo die einen mit nacktem Hintern und die anderen mit Dosenbier in der Hand auf der Straße herumlaufen dürfen, verschwindet das Grüblerische, lassen sich die Momente der Stille und Reflexion auslöschen. Sollen sie zurückkehren, oder sollen sie versuchen, sich abzusetzen? Bis zur allerletzten Einstellung, bis zum letzten Schwarzbild bleibt diese Entscheidung in der Schwebe.

          Heute leben Anoosh und Arash als anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz. Meures hat ihnen ihren Film ganz ausgeliefert, hat sich bezaubern lassen von ihrem Strahlen, als sie da gelandet sind, wo sie als Musiker hingehören – dort, so das wahre Klischee, wo man tun darf, was man liebt.

          Ekstase statt Erleuchtung

          Diese Innigkeit, dieser Rausch jedoch bleiben dem Film äußerlich und sorgen dennoch für seine schönste Szene. Die DJs und eine Busladung Gleichgesinnter fahren in die iranische Wüste, weit weg von den Augen und Ohren des Gesetzes, und tanzen dort eine Nacht durch, kaum zwei Dutzend Männer und Frauen, die sandige Tanzfläche flankiert von den Boxen. Und mittendrin lässt Meures die pulsierenden Beats in den getragenen Klangteppich von „Whispers“ von Axiom of Choice münden, einer Band von Exil-Iranern in Kalifornien, die westliche und persische musikalische Einflüsse verbinden, hier aber verdächtig nach orientalisierendem Ethno-Klischee klingen.

          Doch das Erhabene der Frauenstimme, die da weht wie der Wüstenwind, hat seine Bedeutung: In den verwaschenen Farben der Nacht zeichnen sich bald nur noch wenige Silhouetten vor dem seltsam gleißenden Licht des Mondes ab, sie wiegen sich, strecken die Arme wieder und wieder gen Himmel. Es ist ein religiöses Ritual, eine archaische Anbetung, die da stattfindet. Und es ist ein Augenblick, in dem eine Dokumentarfilmerin, die sonst versichert, sie zeige alles so, wie es ist, plötzlich die Interpretation wagt und dabei ausgerechnet die Musik ersetzt, die alles Geschehen, alle Hoffnungen und alle Ängste in ihrem Film antreibt. Dennoch: Erlangt wird so die radikale Weltlichkeit der Religion, die Ekstase anbietet statt Erleuchtung und ihre Belohnung dem vagen Versprechen auf ein Jenseits entreißt und ins Hier und Heute zerrt. Danach bleibt nur die befriedigte Erschöpfung, Schlafende im Sand, die sich zurückziehen in die schmalen Schatten eines Lautsprecherturms.

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