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Zum Tod von Peter Fleischmann : Das unwiderstehliche Bild eines Traums von der Freiheit

Peter Fleischmann Bild: Picture Alliance

Seine Filme hatten eine Unangestrengtheit, die dem deutschen Film sonst fremd war: Peter Fleischmann, der unterschätzte Filmregisseur, ist gestorben.

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          Der Regisseur Peter Fleischmann ist gestorben – und der Skandal dieser Nachricht ist der Umstand, dass viel zu viele sagen werden: Wer ist das? Nie gehört. Das liegt zum einen daran, dass die Filmgeschichtsschreibung ungerecht und oft launisch ist (zum Glück sind ihre Urteile revidierbar) und der deutsche Filmkanon ein Werk der Ignoranz. Es hat anscheinend aber auch damit zu tun, dass dieser Peter Fleischmann sehr vieles sehr gut inszenieren konnte, sich selber aber nicht: ein freundlicher Mann mit einem biederen Namen, einem jungenhaften Gesicht, der einen harmlos wirkenden pfälzischen Dialekt sprach. Und offenbar kein Interesse daran hatte, sich selbst zum genialen Jungfilmer zu stilisieren. Von Auftritten, die mit den Unverschämtheiten Rainer Werner Fassbinders, der aufreizenden Sensibilität Wim Wenders’ oder der weltläufigen Eloquenz Volker Schlöndorffs hätten konkurrieren können, ist jedenfalls nichts bekannt. Und erst in seinen späten Jahren, so hat das soeben Schlöndorff in einem schönen Nachruf beschrieben, gewann sein Habitus eine Orson-Welles-hafte Gravitas. Schwerer und würdiger geworden, habe er, Zigarre rauchend, darauf gewartet, dass die Filmgeschichte ihn wiederentdecke und sein Können endlich feiere.

          Die sogenannten Gammler

          Claudius Seidl
          Redakteur im Feuilleton.

          Dabei hatte er, außer in München, auch in Paris studiert, war bei dem extrem eigenwilligen Jacques Rozier Assistent gewesen und hatte aus der Nähe miterlebt, wie die Filmer der Nouvelle Vague hinausgingen, ins Freie, um dort mehr Leben, mehr Ge­genwart, mehr Bewegung in ihre Inszenierungen zu holen. Aber während die Filme des jungen Godard oder Truffauts Antoine-Doinel-Zyklus auch dem deutschen Publikum präsent sind, erinnern sich nur Spezialisten an Fleischmanns frühe Filme, an „Herbst der Gammler“ von 1967 oder an die „Jagdszenen aus Niederbayern“ von 1969.

          Was schon deshalb ein Versäumnis ist, weil diese Filme einen Sog haben, eine Spannung, eine Unangestrengtheit, die dem jungen deutschen Film sonst eher fremd war. Dabei ist „Herbst der Gammler“ ein Dokumentarfilm, ganz ohne spektakuläre Schauplätze. Fleischmann lässt die sogenannten Gammler einfach sprechen und von sich erzählen; und dass sich daraus das fast unwiderstehliche Bild eines Traums von der Freiheit formt: das liegt daran, dass die Inszenierung keine Sekunde lang vorgibt, irgendetwas besser zu wissen. Oder daran, dass die Blicke der Kamera so verliebt zu sein scheinen in die Gesichter und die Bewegungen dieser Mäd­chen und Jungs. Die bösen Spießer, die alle ins Arbeitslager stecken wollen, hätte der Film womöglich gar nicht gebraucht. „Jagdszenen aus Niederbayern“ ist die Verfilmung eines Theaterstücks von Martin Sperr, das es sich ein bisschen zu einfach macht mit der Geschichte von den verstockten Dörflern, die einen homosexuellen Mann nicht dulden wollen. Und dass einen dieser Film trotzdem noch heute bewegt, hat vor allem damit zu tun, dass Fleischmann da, neben Angela Winkler und Hanna Schygulla, vor allem echte Dörfler sich selbst spielen lässt. Was besonders schön und komplex in den Momenten ist, da ihnen das Drehbuch keine Vorschriften macht.

          Inszenieren heißt, auf die totale Kon­trolle zu verzichten – und dass dabei ein Film aus dem Ruder laufen kann, erlebte und erlitt Fleischmann mit seiner teuren überambitionierten deutsch-sowjetischen Koproduktion „Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein“ von 1990. Danach suchte er sich leichtere Aufgaben; zum Beispiel hat er das Studio Babelsberg vor dem Ruin gerettet. Am Mittwoch ist Peter Fleischmann, 84 Jahre alt, in Potsdam gestorben. Unsterblichkeit wäre jetzt das Mindeste.

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