Kino: „Maigret“ mit Depardieu : Porträt des Kommissars als Koloss
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Der genaue Blick auf die Bilder: Maigret alias Depardieu bei der Arbeit Bild: Plaion Pictures
Gérard Depardieu glänzt in Patrice Lecontes Verfilmung eines Romans von Georges Simenon: „Maigret“ rehabilitiert einen Schauspieler, der zuletzt vor allem privat Schlagzeilen gemacht hat.
Von Gérard Depardieu hat man in den letzten Jahren wenig Gutes gehört. 2012 fiel er in Paris volltrunken von einem Scooter; es war sein bis dahin achtzehnter Motorradunfall, davon mehrere im Vollrausch und einer mit tätlichem Angriff auf den Unfallgegner. Ein Jahr später wurde er durch einen Ukas von Wladimir Putin russischer Staatsbürger; in der Kleinstadt Saransk hat er einen Wohnsitz und in Grosny ein Apartment, ein Geschenk des tschetschenischen Diktators Kadyrow. Im August 2018 zeigte ihn eine junge Schauspielerin wegen Vergewaltigung an; 2020 begann ein Ermittlungsverfahren, auf dessen Einstellung Depardieu vergeblich klagte. Die Untersuchung dauert an.
Zugleich war Gérard Depardieu als Schauspieler selten besser als in jüngster Zeit. In der Balzac-Verfilmung „Verlorene Illusionen“ verkörpert er, grollend und fuchtelnd, einen analphabetischen Verleger, in der Tragikomödie „Der Geschmack der kleinen Dinge“ eine Sternekoch auf Sinnsuche, in dem Männerdrama „Des hommes“ einen Veteranen des Algerienkriegs. Und jedes Mal gibt er den Figuren, die er spielt, eine zerbrechliche Würde, die man von seiner massigen Erscheinung kaum erwartet hätte. Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll: über den konsequenten Crashkurs, den er in seinem Privatleben fährt, oder das souveräne Können eines Mannes, der seit fünfzig Jahren in der ersten Reihe des französischen Kinos steht. Es wäre sicher zynisch, zu behaupten, dass das eine das andere bedingt. Aber ganz von der Hand zu weisen ist der Gedanke auch nicht.
In Patrice Lecontes Film „Maigret“ sieht man am Anfang nur Fragmente von Depardieu: einen Arm, an dem eine Blutdruckmanschette hängt, einen Teil des Oberkörpers, ein müdes Gesicht. Maigret sitzt mit Herzproblemen beim Arzt: Atemnot beim Treppensteigen, Schlaflosigkeit bei Nacht. Wie sein Appetit sei, fragt ihn der Doktor. „Ich ernähre mich.“ – „Aber die Freude daran ist weg?“ – „Ja.“ – „Nicht nur daran?“ Wieder bejaht der Kommissar. Da erklärt ihm der Arzt, er müsse „ein enormes Opfer“ bringen: Maigret soll mit dem Pfeifenrauchen aufhören.
Die Verkleinerung seines Helden zum Patienten ist der eine Trick, mit dem Leconte die Geschichte in Gang bringt. Der andere ist die Vorwegnahme des Krimi-Plots: Eine junge Frau mit schüchternen Gesten und traurigem Blick leiht sich in einer Boutique ein teures Seidenkleid. Sie fährt zu einer privaten Abendgesellschaft, wo sie für Unruhe sorgt. Ein junger Mann im Frack drängt sie ins Treppenhaus, dann folgt ein Schnitt, und kurz darauf liegt die Frau in ihrem blutdurchtränkten Kleid auf der Straße. Erst jetzt kommt Maigret ins Spiel, aber schon nach diesem kurzen Vorspiel ist klar, dass ihn mit der Toten mehr verbindet als sein Beruf. Ihre Trauer und seine Melancholie gehören zusammen.
Es geht um Einsamkeit, Jugend und Alter
„Maigret und die junge Tote“ erschien 1954. Es ist der fünfundvierzigste von fünfundsiebzig Maigret-Romanen Georges Simenons, und wie fast alle Maigret-Romane wurde er schon mehrmals verfilmt. Dass Patrice Leconte ihn trotzdem noch einmal adaptiert hat, liegt an einer Besonderheit der Vorlage, die bereits im Titel zum Ausdruck kommt. Es geht um Jugend und Alter in diesem Buch, und es geht um Einsamkeit – die gleiche Einsamkeit, die auch den Helden in Lecontes erster Simenon-Verfilmung „Die Verlobung des Monsieur Hire“ umgab. Das war 1989. Bislang war „Monsieur Hire“ Lecontes bester Film. Jetzt ist es „Maigret“.