Pariser Terroranschläge : Der Sturm und der Schrecken
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Was kann eine halbfiktive Zeugin wissen? Samia (Lyna Khoudri) hat Grund zur Sorge Bild: Studiocanal
Passen Action und Aufarbeitung grausamer Zeitgeschichte zusammen? Der Spielfilm „November“ von Cédric Jimenez versucht eine Antwort.
Der 13. November 2015 ist für Frankreich vergleichbar mit dem 11. September 2001 in Amerika. Ein Terroranschlag, der mehrere Ziele zugleich zu treffen versuchte, versetzte den freiheitlichen Gesellschaften einen Schock. Auf den Straßen von Paris und vor allem in der Konzerthalle Bataclan starben damals hundertdreißig Menschen, zahlreiche weitere blieben verletzt und traumatisiert zurück. Längst hat die Verarbeitung dieses Ereignisses eingesetzt, es gibt viele Filme und Bücher zum Thema.
Nun versucht der Film „November“ von Cédric Jimenez, fünf Tage rund um die Anschläge aus der Perspektive der Polizei zu rekonstruieren. Die Erzählung „reste une fiction“, heißt es zu Beginn in einem Insert, bei aller Nähe zu den tatsächliche Geschehnissen herrscht in wichtigen Aspekten die Freiheit der besseren, kompakteren, zugespitzten Geschichte gegenüber der Komplexität dessen, was sich in der Nacht auf den 14. November und in den Tagen darauf in den Apparaten der französischen Exekutive konkret ereignet hat.
Ein unglaublicher Sturm
Jimenez bemüht sich, fünf Tage eines „unglaublichen Sturms“ in eine nachvollziehbare Form zu bringen. Er setzt dabei auf die klassischen Mittel des Thrillers: Figuren im Zwiespalt, konkurrierende Handlungsebenen, dazu das ganze Inventar des Genres von nächtlichen Observationen bis zu hitzigen Verhören.
Die innerbetriebliche Hierarchie schlägt sich auf die Besetzung der wichtigsten Rollen nieder. Im Mittelpunkt steht der Polizist Fred (Jean Dujardin, bekannt geworden mit der Spionage-Satire „OSS 117“ und dann 2011 mit dem Meta-Stummfilm „The Artist“). Er leitet einen großen Bereich, bei seinen Motivationsreden ist er immer knapp und unsentimental, er ist aber kein Schreibtischarbeiter, sondern bei jedem Zugriff nahe dran, und wenn es sein muss, fliegt er auch schnell nach Marokko, um einen Zeugen zu befragen.
„November“ beginnt programmatisch mit einer Actionsequenz zehn Monate vor dem entscheidenden Datum. In Athen geht den französischen Einheiten ein Terrorist durch die Lappen, damals kann natürlich noch niemand absehen, was über den Dächern der griechischen Hauptstadt wirklich auf dem Spiel stand (visuell zielt die Suggestion offenkundig darauf ab, dass es von Athen nicht weit ist nach Syrien, wo damals die Miliz „Islamischer Staat“ immer neue Gewaltakte gegen „Kreuzzügler“ anstiftete und verübte).
Zwischen zwei Frauen
Fred steht in der Dramaturgie von „November“ zwischen zwei Frauen. Héloise (Sandrine Kiberlain) ist eine Ebene über ihm, Ines (Anais Demoustier) hingegen ist seine Untergebene. Sie macht zu Beginn einen Fehler, sie gefährdet durch eine Eigenmächtigkeit ein Manöver einer anderen Abteilung. Danach ist sie angezählt, und es muss erst wieder geklärt werden, wie sehr auf ihre Arbeit zu bauen ist.
Fred ist sich allerdings seinerseits keineswegs immer im Klaren darüber, wie am besten vorzugehen ist. Die Panik wegen einer denkbaren weiteren Attacke, die von Zeugen noch dazu bei Befragungen höhnisch geschürt wird, lässt jede Aktion höchst dringlich erscheinen.
Fred schießt dabei auch ab und zu über die zulässigen Verhaltensweisen hinaus, seine natürliche Autorität (die Jean Dujardin mühelos glaubhaft macht) schlägt auch ab und zu in nackte Wut um. Der Film „November“ gibt sich in diesem Moment kritisch, so richtig lässt er sich auf dieses zentrale Problem, das in Amerika durch den ganzen „Krieg gegen den Terror“ hindurch eine unrühmliche Spur ungesetzlichen staatlichen Handelns zog, nicht ein.
Eine Zeugin als Schlüsselfigur
Dazu hätte Jimenez vermutlich die offiziellen Reaktionen stärker einbeziehen müssen. Man sieht zwar ab und zu im Hintergrund den damaligen Präsidenten Hollande auf einem Bildschirm sprechen, aber der Diskurs des offiziellen Frankreichs und die schmutzige Wirklichkeit eines zumindest für einen Moment ohnmächtigen Systems klaffen in „November“ auseinander. Jimenez hat also keinen politischen Film gemacht, sondern doch in erster Linie ein Action-Genre-Stück, das aber auch an die Dilemmata der staatlichen Notwehr rührt.
Eine Zeugin aus einem der vielen anonymen Wohntürme von Paris wird schließlich zur Schlüsselfigur. Sie behauptet, dass ein Terrorist, den man schon tot wähnte (gestorben durch Bomben von einer Mirage, dem Kampfflugzeug, dessen Name voller Stolz genannt wird), nicht nur weiterhin am Leben, sondern mitten in Paris zu finden ist. Es ist Ines, die sich hier noch einmal hervortut, dieses Mal mit ihrer Intuition: Ich kenne Frauen wie Samia, behauptet sie, Frauen aus den Vororten, die selten einmal den Mut aufbringen würden, sich an die Polizei zu wenden.
Auf das Schicksal dieser Informantin (für die es keine passende Kronzeuginnenregelung gab) kommt es „November“ schließlich vor allem an. So sehr der Film „eine Fiktion bleibt“, so sehr sieht er sich doch in der Kontinuität eines öffentlichen Lernprozesses, und so steht am Ende neben einer unglückseligen Kommandoaktion wenigstens ein legislativer Fortschritt.
„November“ wechselt im Abspann mit ein paar schriftlichen Zeilen die Ebene – und bekräftigt so die Überlegenheit eines demokratischen Systems, das aus einem Sturm immer gereift hervorgeht.