„Jackie“ im Kino : Für drei Tage lenkte sie das Geschick des Landes
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Wie soll es nur wietergehen? Natalie Portman in einer Szene aus Pablo Larraíns Film. Bild: Tobis
Zwischen Attentat und Beerdigung: Pablo Larraíns Kinofilm „Jackie“ folgt den drei Tagen, in denen Jacqueline Kennedy Geschichte in ihrem Sinn schrieb. Natalie Portman lässt sie fast schon wieder natürlich wirken.
Die Schüsse auf John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas, Texas, fielen kurz nach Mittag. Schon wenige Stunden später wurde, an Bord des Präsidentenflugzeugs Air Force One, der Nachfolger Lyndon B. Johnson vereidigt. Als das Flugzeug in Washington landete, war Jacqueline „Jackie“ Kennedy, die Witwe, also schon nicht mehr First Lady. In gewisser Weise blieb sie es aber noch für ein paar Tage. Diese Zeit des Übergangs endete erst mit der Beerdigung des ermordeten Präsidenten am 25. November. Drei Tage, in denen „Jackie“ zwar nicht die Regierungsgeschäfte leitete, wohl aber das Geschick des Landes lenkte. Denn mehr noch als auf das tägliche Handwerk der Macht kommt es auf die Kunst an, ein Vermächtnis zu schaffen.
Davon erzählt der chilenische Regisseur Pablo Larraín in seinem ersten englischsprachigen Film. „Jackie“ kommt in Deutschland just zu einem Zeitpunkt ins Kino, da Amerika gerade einen anderen Übergang – eine „transition“ – hinter sich gebracht hat, der zwar de jure gewaltlos war, bei dem es aber um nicht weniger ging als um die Auslöschung einer Hinterlassenschaft. Eines Tages wird es vielleicht einen Film geben, der die Ereignisse der vergangenen Wochen erzählt, spekulativ oder investigativ, mit einem Blick in Räume, die der Öffentlichkeit eigentlich verschlossen bleiben müssen. In jedem Fall müsste sich solch ein Film an „Jackie“ messen, denn Pablo Larraín und der Drehbuchautor Noah Oppenheim haben daraus geradezu eine Meditation über Geschichte und Vergänglichkeit gemacht. Was jenseits der „transitions“ bleibt, ist nicht ein in Stein gemeißeltes Gesetz oder ein schwungvoll unterzeichnetes Dekret. Es ist die Aufhebung der Geschichtlichkeit in einen Mythos.
So etwas wie eine monarchische Verführung
Die Kennedys umwehte ein solcher Mythos, und folgerichtig kreist „Jackie“ so um dieses Deutungsmotiv, wie sich die Schallplatte immer weiterdreht, die Natalie Portman ziemlich genau nach der ersten Hälfte auflegt: das Musical „Camelot“, das von einem idealen Reich erzählt, in dem schon das Wetter per Erlass nach Datum angenehm zu sein hat. Zu diesem Mythos muss „Jackie“ sich allmählich vorarbeiten. Auf dem Weg liegen die historischen Details, liegt eine Arbeit der Konjektur, die ihren diskreten Höhepunkt am Abend des 22. November erreicht, als Jackie Kennedy, förmlich: Mrs. John F. Kennedy, nach dem Attentat endlich zum ersten Mal allein ist. Sie entkleidet sich, an ihren Strümpfen klebt Blut, die dramatischen Momente, in denen sie ihren sterbenden Mann im Schoß hatte, haben wir (noch) nicht zu sehen bekommen.
Kinotrailer : „Jackie“
Nirgends kann man mehr allein sein als im Inneren eines gigantischen Protokoll- und Machtapparats. Davon erzählen zahllose Filme, von „Marie Antoinette“ bis zu „The Queen“, und Larraín macht mit seinem Film klar, dass bei den Kennedys auch so etwas wie eine monarchische Verführung im Spiel war. Majestät gibt es ja in mehrfacher Form, man kann eine sein, man kann sie aber auch zeigen. „Jackie“ erzählt davon, wie eine Frau dieses Charisma erlangt, während sie es preisgeben muss. Diese Verschränkung prägt denn auch die Form des ganzen Films, der ein widersprüchliches Zentrum in mehreren Bewegungen umkreist. Die äußerste Schicht bildet ein Gespräch, zu dem ein Reporter (Billy Crudup) wenige Tage nach den Ereignissen erscheint. Die amerikanische Öffentlichkeit meint ein Recht auf Einblicke zu haben, „etwas Persönliches“. Jackie aber macht unmissverständlich klar, dass sie die Story „schreiben“ wird.
Dabei hat sie doch gar keinen Job
Man könnte es für kapriziös halten, wie Natalie Portman die Rolle gerade in diesen Szenen interpretiert. Der prononcierte Akzent, die weggespreizte Zigarette, die Koketterie, mit der sie Jackies Antworten auskostet und dann gleich wieder zurücknimmt. Aber das alles ist wohl nur der virtuose Ausdruck eines fast schon postmodernen Verständnisses von Wahrheit, mit dem sich „Jackie“ hier in die Zirkulation der Versionen einreiht. Die Version bekommt Autorität gerade durch die Brüche, mit denen Portman die Figur ausstattet, in einer Darstellung mit so vielen Reflexionsebenen, dass sie am Ende schon fast wieder natürlich wirkt.
In einem Washington, das damals noch ausschließlich weiß war, sind es die Nuancen der Sprache, die am meisten vom Geist der Zeit verraten. Noah Oppenheim spielt geschickt mit Begriffen wie „march“ und „procession“. Jackie besteht, gegen alle Sicherheitsbedenken, darauf, dass die Trauernden (darunter auch hundertdrei Staatsoberhäupter) dem Sarg zu Fuß folgen. „It is our last chance to march with him.“ Der Marsch aber war in diesen Jahren die soziale Form der Bürgerrechtsbewegung, die hier ein pointiertes Gegenüber bekommt. Politik wird zu einem langen Marsch, nicht durch die Institutionen, sondern, auch dies hebt „Jackie“ ausdrücklich hervor, der Institutionen durch die Machthaber. „Das hat das Weiße Haus aus Abraham Lincoln gemacht“, bedeutet die gerade erst eingezogene First Lady einem Reporter in einem Fernsehbeitrag, der ein weiteres der konzentrischen Motive in „Jackie“ bildet. John F. Kennedy blieb durch das Attentat erspart, was wir an Barack Obama genau beobachten konnten - wie sich die Bemühungen um ein Vermächtnis in die Physis einschreiben.
An John F. Kennedy (und seinem Bruder Bobby, hier gespielt von Peter Sarsgaard) hängt nun der Mythos, die amerikanische Demokratie könnte „forever young“ sein. Zugleich zeigt sie sich in „Jackie“ als steinalt, am Leben gehalten nur durch eine Frau, die sich für ihr störrisches Tun mit einem Satz legitimiert, der in Amerika resonanter nicht sein könnte: „I’m just doing my job.“ Dabei hat sie doch gar keinen Job. Sie ist eine Majestät auf Abruf. Bis heute. Genau das macht der Film „Jackie“ in allen Facetten beeindruckend klar.