Im Kino: „Wacken 3D“ : Laut, superlaut, krankenhauslaut
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Konservative Wertarbeiter auf der Wackener Bühne: Scott Ian mit Anthrax Bild: ICS Festival Service
Diese zornigen Jungs sind eigentlich ganz lieb: Eine Kinodokumentation feiert das Wacken Open Air, das wertkonservative Familienfest der Metal-Gemeinde.
Irgendwann kommen Gewitter und Regen und mit ihnen der Matsch. Das ganze Gelände verwandelt sich in eine Schlammwüste, in der Wohnwagen einsacken, Zeltbefestigungen unsicher werden und in der diejenigen, die sich „Metalheads“ nennen, im Schlamm zu tanzen beginnen oder sich einfach reinwerfen in die dreckige Brühe. Das sind dann die schönsten und stillsten Bilder dieses Films: „Wacken 3D“ heißt die Dokumentation, die kommende Woche in die Kinos kommt und die sich in einer beeindruckenden Mischung aus Affirmation und ethnologischem Forscherblick, aus Fantum und Distanz, hineinbegibt in das weltgrößte Heavy-Metal-Festival im Schleswig-Holsteinischen Wacken. 75.000 Metaller besetzen vier Tage lang eine 2000-Einwohner-Gemeinde. Und sie kommen immer wieder. Beständiger und identitätsstiftender als Heavy Metal ist wohl keine andere Musikrichtung mehr.
„W:O:A“, „Wacken Open Air“, das ist für Metaller das heilige Land, und für all jene, die es nicht sind, immer noch Höllenlärm. Der Film feiert die zornigen Götter der Szene: Anthrax, Annihilator, Anvil. Nie ist man den mit Ruß beschmierten Oberarmen von Rammstein-Sänger Till Lindemann so nahe gekommen wie hier in 3-D. Lemmy Kilmister ruft: „We are Motörhead, motherfuckers“, und Mikkey Dee, sein Schlagzeuger, raunt: „Wir sind ein Albtraum, der immer wiederkommt. Nach einem Dritten Weltkrieg würden nur Kakerlaken und Lemmy überleben.“ Nur kommt die Matschszene im Film dann ganz plötzlich ohne Schwermetall aus. Man hört: die Stimme von Maria Callas, die Puccinis Arie „Un bel di vedremo“ aus „Madame Butterfly“ singt. Dazu in Zeitlupe: sehr lange Haare von Headbangern, die in maximalem Zoom in den Matsch eintauchen und zurückfliegen in die Luft, Schlammpartikel, die mehrdimensional durchs Bild fliegen, frenetisch verzerrte Gesichter der Tanzenden. Wem sich das Glück des Metalheads bis dahin nicht erschließen wollte, der begreift es spätestens in dieser Zeitlupen-Choreographie, zur Stimme der Callas.
Und er begreift auch, dass die dunklen Gestalten, die aus der ganzen Welt kommen und hier einen auf Böse machen („Wir tragen so lange Schwarz, bis wir was Dunkleres gefunden haben“), ganz und gar freundliche Menschen sind. Lieb eigentlich. Überraschenderweise sogar selbstironisch und lustig, wenn ein sogenannter Dr. Toxic hinter einer Totenkopfmaske im Interview verkündet, dass „du dich auch als richtiger Metalhead mit Tattoo und langen Haaren nicht zu ernst nehmen darfst“. Oder wenn am ersten Morgen in Wacken die Festivalbesucher aufstehen, draußen vor ihren Wohnwagen mit Kuchenbrot und Kaffee frühstücken - und eine Darth-Vader-Gestalt mit Bierdose in der Hand vorbeiläuft.
„I am a fucking grown man who plays guitar in a heavy metal band“, antwortet Scott Ian von Anthrax auf die Frage, was Heavy Metal für ihn bedeutet, und preist es als „höchste Form des menschlichen Daseins“. Wahrscheinlich bringen es diese Worte am besten auf den Punkt: Wer Metalhead ist, ist Metalhead. Fertig. Es geht um Gemeinschaft, um ein Repertoire von Zeichen und Codes, dass sich immer mehr ausdifferenziert, in Speed Metal, Thrash Metal, Death Metal, Nu Metal, zugleich aber einen erstaunlich homogenen und das System stabilisierenden Kosmos bildet.
Während Punk konkrete Aggression sein wollte (Pogo tanzen, prügeln, dann rausgehen auf die Straße und sich mit der Staatsmacht weiterprügeln); während es einen Gegner gab und eine Botschaft („Haut die Bullen platt wie Stullen“), wollen Metaller nichts kaputt machen und tun es auch nicht. In Wacken, jedes Jahr in der ersten Augustwoche, prügelt sich keiner, ganz egal wie viel Bier aus Gießkannen getrunken wird. Das gehört einfach nicht zum Programm und zur Einstellung. Es wird zur Musik Aggression abgebaut, das ja, und dazu muss es schon richtig laut sein, lauter als die Hölle. Aber völlig ohne Gegner.
Eine Idee gibt es deshalb aber auch nicht. In Wacken will niemand die Gesellschaft verändern oder die Revolution ausrufen. Metaller, die hier ihr Familienfest feiern, sind wertkonservativ und eher bieder. Die schönste Zukunftsvision scheint es zu sein, dass sich nichts ändert: „Es ist der totale Wahnsinn“, sagt im Film einer der beiden Festival-Gründer. „Von einer Sekunde auf die andere ist alles wieder wie vor dreißig Jahren.“ Wie schön. „Die Musik gibt den Menschen Halt. Wenn man eine Band mag, dann mag man die auch vierzig Jahre lang. Und die Band gibt es dann auch vierzig Jahre lang“, meint der Regisseur Norbert Heitker. Mädchen gibt es im Zuschauer-Meer von Männern auch, nur eher nicht auf der Bühne. Da gibt es Doro Pesch und dann erst mal lange nichts. Aber auf den Schultern der Jungs sitzen sie, oft mollig wie ihre Freunde und gerne oben ohne, Brüste sind beliebt, oder sie lassen sich crowdsurfend durch die Menge tragen. Man kann von den Schönheits- und Coolnessidealen, die von Frauenzeitschriften oder Magazinen wie „Neon“ propagiert werden, gar nicht weiter weg sein als in Wacken.
So taucht man ab in einer eskapistischen Welt, die sich viele Elemente aus der Fantasy-Kultur geliehen hat. Einmal läuft eine Gruppe von Wikingern durchs Bild, harmlose Monster sitzen erschöpft vor ihren Zelten, im Freibad von Wacken, das bei der Hitze völlig überlaufen ist, tanzen alle zu den Klängen einer Blaskapelle. Das Besondere an dieser Dokumentation ist, dass sie denen, die schon mal da waren, die Möglichkeit gibt, noch näher ranzukommen, und die anderen, die da wirklich nicht hin und doch alles wissen wollen über das Phänomen, teilhaben lässt am unglaublichen Spaß derer, die hier glücklich sind in der Menge. Der 3-D-Effekt sorgt dabei für schönste Unmittelbarkeit: Er sprüht einem die Funken eines Schweißgeräts direkt ins Gesicht und überschüttet einen mit Konfetti. Wacken, das ist im Grunde eine große Oper, von der am Ende viel Müll und viel Schlamm übrig bleibt. Und das dann überhaupt die allerbeste Nachricht dieses Films: dass man gar nicht unbedingt hinmuss, sondern einfach ins Kino.