Laura Dern im Film „The Son“ : Sie lässt sich nicht den Mund verbieten
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Zwischen Schuld, Scham und Angst: Laura Dern als Mutter eines depressiven Jungen in „The Son“ Bild: AP
Laura Dern gehört zu den bedeutendsten Darstellerinnen ihrer Generation. Das hat viel mit ihrer unvergleichlichen Mimik zu tun. Im neuen Kinofilm „The Son“ kommt das leider weniger zur Geltung.
Gesichter sind Spielflächen des Gefühls. Es gibt rätselhafte und energische, erotisch-offensive und intellektuell-verhaltene Ausdrucksformen, mit denen diese Spielfläche ausgestattet wird. Laura Dern gehört in dieser Hinsicht, neben Kate Winslet, Julia Roberts und Cate Blanchett, zu den besten Schauspielerinnen ihrer Generation. Ihr Blick: eine subtil orchestrierte Suchbewegung. Ihr Lächeln: mal zaghafte Reizung des Gegenübers, mal Selbstvermummung in Zweifel und Groll. Ihr Mund: ein die feinnervigsten Regungen in mimische Andeutung übersetzender Seismograph. Allein dieser Mund wäre einen ganzen Artikel wert.
Aber ist dieser Befund nicht trivial? Wie sollte eine seit vier Jahrzehnten Hollywood prägende Darstellerin nicht mimisch begabt sein? Wie könnte ihr Gesicht, immer wieder als mächtiges Kinobild ins Bewusstsein der Zuschauer projiziert, nicht besonders erscheinen?
Gegenfrage: Gibt es nicht Schauspielerinnen, deren Vitalität sich vor allem über Stimme und körperliche Haltung erschließt? Würde man sich das artistische Vermögen einer Jennifer Aniston oder Angelina Jolie mit physiognomischer Finesse erklären?
Ambitionierte Kinowerke mit gesellschaftspolitischer Agenda
Einige Stichproben ihrer bedeutendsten Filme: Laura Dern im Thriller „Blue Velvet“ (1986) von David Lynch. Sie spielt das harmlose good girl, über dessen Mädchengesicht bereits die großen, brennenden Fragen der Liebe huschen. Dern, abermals angeleitet von David Lynch, in „Wild at Heart“, nun vier Jahre älter, als Verführerin und Verführte, deren Liebhaber (Nicolas Cage) das Tor zur Hölle öffnet mit seinem Zorn auf die Welt. In „Wild at Heart“ lässt sie die Grenzen zwischen Lust, Schmerz, Hingabe und Ekel in derart verstörender Weise mimisch verschwimmen, dass Geschlechterklischees nicht mehr zum Tragen kommen. Hetäre, Heilige, Bigotte oder Verruchte: Die Rollen, die uns Literatur und Kino als Verkörperung eines vertrackten Begehrens anbieten, zerspielt sie mit einem einzigen Lippenzittern, einem jagend-lüsternen Blick.
Ihre Karriere umfasst große und kleine Filmrollen. Einige davon sind kinohistorisch auch dann relevant, wenn man sie als schauspieltechnisch banal einstuft. Die Dinosaurier-Expertin in „Jurassic Park“. Die Weltraumsoldatin im Franchise-Blockbuster-Gedöns „Star Wars: Die letzten Jedi“. Zwischen diese krachenden Großwerke getupft: Auftritte in Komödien, Autorenfilmdramen, einige Dutzendware, andere, wie „The Master“ und „Little Women“, ambitionierte Kinowerke mit gesellschaftspolitischer Agenda.
Seit Mitte der Zehnerjahre profitiert sie von der besetzungslogischen Pointe des Serienbooms: Weil episch ausladende Reihen mehr Darstellerinnen brauchen, wird sie wieder besetzt: im Revival von „Twin Peaks“ (2017), der David-Lynch-Serie von 1990, in der sie ebenfalls eine Hauptrolle spielte. In „Big Little Lies“, dem über drei Staffeln ausgespannten Ehebetrugs-Drama, das ihr 2017 einen Emmy einbringt. In „Big Little Lies“ ist sie Renata, eine vom Ehemann lange düpierte Erfolgsblondine, die sich mit brutalem Standesdünkel gegen die Vertreibung aus dem angestammten Milieu behauptet. Hier gibt sie sich mimisch der Entgleisung hin; das Gesicht ein Tableau, in dem sich Borniertheit mit feministisch geboostertem Scharfsinn kurzschließt. Es sind Sternstunden und -minuten, Laura Dern dabei zuzusehen, wie sie dem männlichen Narzissten das hasserfüllte Gesicht vorhält. Rücksichtloser gegen das eigene Image als Leinwandschönheit lässt sich kaum agieren.